Die heimliche Päpstin
beiden Kinder. Daß sie sich liebten, hatte ich mir immer gewünscht; mir gefiel indes nicht, daß Alexandros derart von Melancholie geprägt war und Marozia bereits jetzt wie eine Prinzessin durch den Tag tändelte, von allen Kniefall und Bewunderung erwartend. Alexandros' Liebe war tief verwurzelt, wie eine Pflanze auf trockener Erde, ihre dagegen wirkte auf mich so flatterhaft wie ein Schmetterling vor dem bunten Reich der Blumen.
Marozia entwuchs damals ihrer kindlichen Schlaksigkeit und blühte in verführerischer Weiblichkeit auf. Dennoch ging sie mit ihrem Milchbruder in naiver Unschuld um, so unbefangen, daß Theodora skeptisch zu schauen begann. Sie küßte ihn am Tisch, wenn ihr danach war, und zog ihn tief in den Park, bis beide aus unserem Blickfeld verschwunden waren. Häufig fand ich sie morgens in seinem Bett liegen, und sie erzählte dann immer, sie habe schlecht geträumt, sei voller Angst aufgewacht und habe bei ihm Schutz gesucht. Alexandros kommentierte ihre nächtlichen Besuche nie.
Vielleicht war er auch deshalb so melancholisch, weil er seinen Vater lange Zeit nicht kannte. Er wußte, daß ich Marozia genährt hatte und nun, obwohl Sklavin, eine wichtige Rolle in der familia des Theophylactus spielte. Er mochte sich wohl fragen, wer er selbst war: Ebenfalls ein Sklave – oder Marozias Bruder?
Nachdem Marozia ihn darauf angesprochen hatte, stellte er die bereits von mir befürchtete Frage nach seinem Vater. Als ich nicht sofort antwortete, sagte er: »Ist es Martinus?«
»O Kind!« rief ich. Mehr fiel mir nicht ein.
»Ist er es nun?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Theophylactus?«
In seinen Augen stand bange Erwartung.
»Nein, nein«, sagte ich rasch.
»Dann muß es ein Sarazene sein.« Die Bangigkeit verwandelte sich in Bestürzung. »Ich bin ein Kind der Schändung durch einen Ungläubigen.« Es war mehr als Bestürzung, eher Entsetzen.
»Woher nimmst du diese Worte? Nie hast du so etwas von mir gehört.«
Sein Blick zeigte mir, daß ich nicht länger ausweichen konnte. »Du bist der Sohn von Papst Sergius«, erklärte ich so sachlich wie möglich. »Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte, die ich dir jetzt nicht erzählen kann. Aber eins möchte ich betonen: Wir verdanken Theodora und ihrem Mann unser Leben. Dies dürfen wir nie vergessen. Ewig werden wir in ihrer Schuld stehen.«
Alexandros schien erleichtert zu sein. »Ich bin also nicht Marozias Halbbruder – und auch nicht der Bastard eines Sarazenen.«
»Nein«, sagte ich bestimmt und ebenfalls erleichtert.
In den Tagen und Wochen danach kam Alexandros nie wieder auf das Thema zu sprechen. Allerdings verdunkelte sich sein Blick, wenn er, wie an dem Tag unseres prunkvollen Festes, seinem Vater begegnete.
28
Auf dem Weg zurück zu unserer noch immer reich geschmückten und im Licht hunderter Kerzen erstrahlenden Aula begegnete ich Papst Sergius, der soeben dabei war, in Begleitung mehrerer Kardinäle das Fest zu verlassen. Zuerst wollte ich mich in einen Seitenraum drücken, doch dann spürte ich den Protest des Stolzes in meiner Brust und wich ihm nicht aus. Im letzten Augenblick verließ mich der Mut, ich senkte den Blick und deutete einen Kniefall an: Statt wie früher an mir vorbeizuschreiten, ohne mich zu beachten, blieb der Papst stehen und reichte mir den Ring zum Kuß. Ich fiel auf die Knie und näherte meine Lippen dem in Gold gefaßten Edelstein, als Sergius mit seiner Bauernhand meine Wange umfaßte und mein Kinn hob. Hätte ich auch jetzt noch demütig die Augen niederschlagen sollen? Ich befürchtete, unter seinem forschenden Blick zu erröten, doch ich spürte nur bleiche Kälte und hielt seinem Blick stand. Er lächelte und forderte mich auf, mich zu erheben.
»Du tief Gestrauchelte und hoch Gestiegene, mögen dir die Folgen deiner Taten wie die Frucht deines Schoßes noch lange Jahre Freude bereiten«, sagte er mit leiser, klarer Stimme, deutete einen priesterlichen Segen an und wandte sich dem Ausgang zu. Noch immer trug sein Antlitz dieses Lächeln, das mich verwirrt und unsicher zurückließ.
Im Saal flackerten die meisten Kerzen nur noch von Stummeln, und die Diener waren dabei, die Reste der Mahlzeit abzuräumen und sich dabei selbst zu bedienen. Ich sah in einer Ecke Theodora mit ihrem Johannes beisammensitzen, in der anderen Theophylactus und Alberich. Martinus dirigierte das Abräumen und achtete persönlich darauf, daß die kostbaren Gläser nicht zerbrachen und keine der Silberschüsseln
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