Die heimliche Päpstin
aufzunehmen.
»Betrachte genau die Elbenbeinschnitzerei, liebste Aglaia, und sieh, mit welchem Ausdruck die Gebenedeite auf den Erlöser schaut. Für mich bist du in ihr auferstanden. Oder sollte ich es anders ausdrücken? Sie ist in dir auferstanden. Wie einst Joseph blicke ich auf Mutter und Kind, stolz und selig, wehmütig, sehnsuchtsvoll und treu in unauslöschlicher Liebe.
Ein einziges Mal durften wir uns erkennen – und leider gelang es mir nicht, dich aus dem Gefängnis deiner unvergessenen Schmerzen zu befreien, dich zu dir selbst und deinen Wünschen zu geleiten. Darf ich hoffen, dich bald, wenn ich in Rom weilen werde, nicht nur wiederzusehen, sondern auch heimzuführen, in reiner, in keuscher Liebe?«
Erneut mußte ich das Pergament sinken lassen und flüsterte »Ja, ja!« so leise, daß nicht einmal der plätschernde Herkules es hörte. »Was habe ich dir angetan, Martinus! Ich will mich dir hingeben und mich deiner Liebe öffnen bis ans Ende unserer Tage.«
40
Ich muß die Gefühle hintanstellen, die mich noch heute, tief in unserer Gruft, überwältigen, und zu mehr Sachlichkeit beim Schreiben zurückkehren. Liebe und Schmerz, als einfache Worte niedergeschrieben, bleiben tote Buchstaben und verhöhnen die Gefühle, denen sie Ausdruck verleihen sollen. Alle schmückenden epitheta und bewegenden verba , die man hinzufügen mag, alle Bilder und Vergleiche, die um sie ranken, bleiben das winterliche Geäst eines Baumes, der seine Blätter verloren hat und dem man nicht ansehen kann, daß er je wieder grünen wird.
So muß ich mich zu einem Bericht ohne schmelzende und doch abgestandene Worte zwingen und darf all meine Vorfreude auf Martinus nur erwähnen und nicht weiter beschreiben. Ich hatte kaum Möglichkeiten, sie Marozia oder gar Theodora und den Männern mitzuteilen, weil zu dieser Zeit, gleich zu Beginn des Pontifikats von Papst Johannes X. Ereignisse unsere Aufmerksamkeit erzwangen, die tief in meinem Innern abgelegte und ruhende Ereignisse wiederbelebten.
Nach verhältnismäßig friedlichen Jahren hatten sich die Sarazenen des Garigliano, verstärkt durch Truppen aus Nordafrika, wieder aufgemacht, die Campania Roma und das südliche Latium auszuplündern, gegen die Albaner Bergdörfer und Klostermauern anzurennen, unsere großartige und so reiche Abtei Farfa mit ihren sechs Basiliken, mit schattigen Kreuzgängen und Säulen aus Onyx, mit ihren heiligen Reliquien und der wertvollen Bibliothek zu erobern.
Markgraf Alberich hatte während der letzten Jahre einen Teil seiner Schutzmannschaften aus Roms Umfeld abgezogen und nach Spoleto verlegt, weil dort die Anhänger der ehemaligen Herrscherfamilie Unfrieden stifteten. Dies rächte sich jetzt. Die Krummschwerter der Ungläubigen kannten keine Gnade und hieben die Menschen in Stücke, die Brandfackeln fraßen sich durch Dächer und Vorratsspeicher – laut schallte der Ruf Allahu akbar, und weiter stürmten die schlanken Pferde der Eroberer. Sie standen sogar vor den Mauern der ewigen Stadt, die ihnen jedoch, von Konsul Theophylactus vorsorglich befestigt, den unüberwindbaren Schild der Abwehr entgegenhielten. Weil die Sarazenen die Aussichtslosigkeit, Rom zu erobern, einsahen, erstürmten sie Subiaco und sein Kloster, ergossen sich in die alten etrurischen Gefilde und bis tief nach Tuszien hinein mit Mord, Raub und Zerstörung. Kaum ein Bauer, Pilger und Händler entkam ihnen, keine Frau und kein Kind. Mir versagen die Worte vor der gnadenlosen Grausamkeit, die zu berichten wäre.
Als das Land schließlich so ausgeplündert war, daß die Sarazenen kaum noch Nahrung fanden, zogen sie sich zurück in ihre Lager in den verödeten Landschaften, an die Orte, an denen sie ihr Beutegut aufgehäuft hatten, so zum Beispiel zum Kloster Farfa, das ihnen zum Hohn des christlichen Gottes als Moschee und Pferdestall, Vorratslager und Sklavenpferch diente, und natürlich an den Garigliano selbst, von dem aus täglich zahlreiche schwerbeladene Schiffe nach Afrika ablegten. Allah, der Eroberergott, der Gott des heiligen Krieges, hatte, kein Zweifel, über den christlichen Herrn, den Friedensfürsten, gesiegt. Und die wenigen, die überlebten, weil sie sich rechtzeitig in verborgenen Höhlen und unzugänglichen Wäldern versteckt hatten, fragten sich: Wo war der Schutz des Allmächtigen geblieben? Kann man sich wirklich auf ihn verlassen? Hat man sich je verlassen können?
Sie fragten sich zudem: Warum hatten die Truppen des Markgrafen Alberich nicht
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