Die heimliche Päpstin
Stahlklingen – wer würde da den kürzeren ziehen?
Theodora hatte längst begriffen, daß Alberich ihre Tochter in der Art vieler Haudegen liebte: Solange sie ihm seine Erben auf die Welt brachte und aufzog, solange man sich mit ihr schmücken konnte, weil der Männerwelt die Augen ob ihrer Schönheit übergingen, wurde sie geliebt und geachtet. In der Tat liebte Alberich unsere Marozia: Ihre Schönheit fand überall, wo sie auftrat, Bewunderer. Die Geburten hinterließen kaum Spuren, außer daß sich Marozias Formen noch mehr rundeten. Ihr Gang blieb federnd, das Lächeln bezaubernd, der Augenaufschlag gewinnend. Alberich sonnte sich wie seine Schwiegereltern in Marozias Glanz, als sei sie sein Werk.
Doch zurück zum Tod des Mannes, der unser aller Leben so nachhaltig beeinflußt hatte! Sergius III. ging den Weg aller Sterblichen im Jahre 911. Theodora wollte selbstverständlich, daß ihm Erzbischof Johannes unverzüglich auf den Stuhl Petri nachfolge, indes: Damit würde er gegen das im im canonicum niedergelegte Translationsverbot verstoßen. Als Bischof durfte Johannes nicht in eine andere Diözese wechseln, und sei es in die beherrschende von Rom. Dies hatte man bereits Formosus vorgeworfen, zu Leb- und zu Leichnamzeiten – sollte Johannes, der damals zu der Gruppe gehörte, die den Vorwurf unterstützte, jetzt selbst gegen das kanonische Recht verstoßen? Hinzu kamen die unschönen Gerüchte über Papst Sergius' Hinscheiden, denen er keine Nahrung geben wollte.
Theodora kümmerte weder das kanonische Recht noch die kuriale Gerüchteküche. Anfangs sah es so aus, als könnte sie ihren Willen durchsetzen, doch nach einer Zusammenkunft in Theophylactus' Palast, bei der auch Marozia und Alberich zugegen waren, verkündete er den Anwesenden, sich noch nicht zur Wahl zu stellen.
Ich kann verstehen, daß er sein Pontifikat nicht mit dem Verdacht eines Verbrechens beginnen wollte. Hinzu kam ein weiterer Grund, der bei seinem nächsten Besuch auf dem Aventin deutlich wurde.
Anfangs war Johannes mir wie ein von Theodora gezähmter Hengst erschienen. Doch spätestens während dieses Besuchs zeigte er eine andere Seite seines Wesens. Er trat ganz ungewohnt in der Gewandung des Erzbischofs auf und wirkte dadurch gemessen, fast steif – was Theodora offenkundig reizte.
Er strebe trotz des Translationsverbots langfristig die Stelle des pontifex maximus an, erklärte er, und wolle ihr zu neuem Glanz verhelfen. Dabei dürfe aber nicht der Eindruck einer Abhängigkeit entstehen, schon gar nicht der Abhängigkeit von einem Weibe.
Alberich grinste, während Theodora überhaupt kein Verständnis für die Skrupel und Worte ihres seine Würde ausspielenden Liebhabers zeigte. Sie rief sogar vor aller Ohren: »Ich will, daß du endlich nach Rom kommst, damit ich des Nachts nicht immer vor Sehnsucht verbrenne.«
Johannes überhörte ihren Ausruf, ebenso wie Theophylactus, der, so wußten alle in seiner familia, die lodernden Flammen der Sehnsucht während Johannes' Abwesenheit löschen durfte. Dafür mischte sich Marozia ins Gespräch. Sie könne Onkel Johannes vollkommen verstehen und unterstütze ihn. Es gehe um das Amt, um sein Ansehen, die Autorität der Person und die Reinheit der Christenheit.
Ihre Mutter schäumte, was dadurch verstärkt wurde, daß Marozia ihre hehren und hochwürdigen Worte durch ein verführerisches Lächeln unterstrich, dem Erzbischof am Ende ihrer Ausführungen sogar von hinten die Arme auf Schultern und Brust legte, ihren Kopf an seinen drückte und ihn herzte, als sei er seit Jahr und Tag ihr Lieblingsonkel.
Die nachfolgende Diskussion verlief wenig harmonisch und ohne Einigung. Erzbischof Johannes verabschiedete sich bald und erlaubte den Frauen nicht mehr als den Kuß seines Rings. Anschließend gab es eine häßliche Szene zwischen Mutter und Tochter, während die Männer sich zum Würfelspiel zurückzogen.
Nach der Totenfeier für Papst Sergius III. setzte sich Johannes tatsächlich durch: Es wurden nacheinander zwei Päpste inthronisiert, deren Namen ich bereits vergessen habe, so wenig Eindruck, so wenige Spuren haben sie hinterlassen. Im Jahr 914 nach Menschwerdung des Herrn wurde er dann allerdings auf den Stuhl Petri gewählt und dem jubelnden Volk mit dem bekannten habemus papam verkündet. Er behielt seinen Namen bei und nannte sich Johannes X. Obwohl er nicht mehr der Jüngste war und sich im Laufe seines Pontifikats zahlreiche Feinde machte, hielt er sich länger auf dem
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