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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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mehr Schutz gewährt?
    Theophylactus blieb, wie wir alle, tagelang stumm vor Entsetzen, bevor er seiner Wut freien Lauf ließ. Jahre des Aufbaus waren in einem Sturm der Verwüstung untergegangen. Rom drohte zudem eine Hungerkatastrophe und damit Aufstände, mit ihnen Zerstörungen, die die Lage noch bedrohlicher werden ließen.
    Papst Johannes persönlich zelebrierte jeden Tag eine Messe, um den Menschen Trost und Mut zuzusprechen – und gleichzeitig zitterte seine Stimme vor alttestamentarischem Zorn. Vielleicht, so ermahnte er seine Zuhörer, strafe der Herr sie alle für die Untaten, die auch unter dem Dach und den Augen der allumfassenden Kirche geschehen seien, vielleicht wolle ER sie auf diese grausame Weise aufrütteln, zusammenzustehen und gemeinsam gegen den ungläubigen Feind vorzugehen, der erst dann Frieden gebe, wenn er vernichtet und ausgerottet sei.
    Die Menschen in der im neuen Glanz und unter dem Gefunkel von tausend Kerzen erstrahlenden Lateranbasilika tobten und schrien vor Wut und Begeisterung, sie stießen blinde Drohungen aus und schüttelten die Fäuste, Männer zerrissen ihre Umhänge, und Frauen fielen in Ohnmacht. Als dann schließlich der Heilige Vater sie mit seinem ite missa est entließ, leerte sich die Kirche im lauten Geschrei der Gläubigen, das schließlich in sich zusammenfiel zu einem Murmeln und Raunen. Viele hatten bereits zu laufen begonnen, um als erste anzustehen vor den Bäckereien, die noch Brot verkauften, oder vor den Klöstern, in denen es Armenspeisung gab.
    Kaum hatte sich der Brand- und Verwesungsgeruch, der Rom umgab, gelegt, begann eine hungergeplagte und pestdurchzogene Zeit, die auch in der ewigen Stadt zahlreiche Opfer forderte. Wer von den Milizen auf der aurelianischen Mauer Wachdienst leisten mußte, berichtete vom Geheul der Wolfsrudel, von fetten umherstreunenden Hunden und Geierschwärmen, von dunklen, summenden, ja, brausenden Wolken: Unzählbare Fliegen überwanden voller Gier die Mauern der Stadt und fielen über die niedriggelegenen, stinkenden Viertel her, um dort den Ratten und Krähen ihre verwesende Beute streitig zu machen.
    Ich trug tags und auch nachts den Brief des Mannes an meinem Herzen, der mich hatte heimführen wollen. Als die Sarazenen ihr heiseres Geschrei vergeblich gegen die Mauern schleuderten, hoffte ich, Martinus habe rechtzeitig eines der römischen Tore durchschritten. Als dann das nördliche Latium brannte und kein Pilger mehr die heilige Stadt erreichte, schon gar kein Händler, betete ich, daß Martinus vor den heranstürmenden Horden beizeiten zurückgeflohen sei nach Siena oder Florenz, Pisa oder Lucca. Ich flehte den stummen und unbarmherzigen Gott an, bis ich selbst verzweifelt verstummte.
    Als ich auf Martinus selbst nicht mehr wartete, hoffte ich auf einen Brief, in dem er mir seine Rettung mitteilte und mir versprach, mich bald zu erlösen.
    Ich hoffte vergebens.
    Der Schmerz, den zu bekämpfen mir seit langem gelungen war, kehrte zurück. Die Ruhe, die sich meine Seele erkämpft hatte, war dahin, und so zeigte auch die Erinnerung wieder die Medusenfratze des Geschehens, das mich aus Kindheit und Jugend gerissen und mir die Fähigkeit zu lieben genommen hatte. Hoffnungslosigkeit befiel mich, aus der mich nicht einmal die Kinder mit ihrem unbekümmerten Lachen erlösen konnten.
    Martinus hatte mich holen und heiraten, hatte mit mir in meine Heimat zurückkehren wollen, damit wir uns vereinigten mit meinem Sohn – und nun mußte er den sarazenischen Horden in die Hände gefallen und von ihnen zu Tode gehackt worden sein.
    In mir explodierte ein Haß, wie ich ihn weder vorher noch nachher je wieder erlebt habe.
    Ich eilte zu Theodora, die ich in intensivem Gespräch mit ihrem Mann und Alberich antraf, und kaum begegneten sich unsere Blicke, wußten wir beide, daß in uns die gleichen Gefühle aufgebrochen waren. Als sie mich begrüßte und dabei kurz umarmte, flüsterte ich ihr zu: »Martinus war auf dem Weg nach Rom.«
    Ihre Augen leuchteten kurz auf, um sich sofort wieder zu verschatten.
    »Er wird nicht kommen«, sagte ich knapp.
    Sie drückte mich an sich. »Wir sind Schwestern in Leid und Triumph. Wir müssen stets zusammenhalten.«
    Theophylactus begrüßte mich ernst und förmlich, selbst Alberich hatte sein Lachen verloren.
    »Wir erwarten den Heiligen Vater, die römischen Kardinäle und einen Teil der Senatoren und magistri militum«, erklärte der Konsul. »Außerdem Abordnungen der Handwerker, der

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