Die heimliche Päpstin
Andeutung einer Bitterkeit in seiner Stimme. Leise, fast unverständlich, fügte er hinzu: »Ich habe immer darunter gelitten, daß wir, die wir das heilige Gewand tragen, uns auf Erden nicht wiedererkennen dürfen in den Augen unserer Kinder.« Er schaute zugleich auf den kleinen Giovanni, der seinen Blick nicht zu erwidern wagte. Auch als Papst Sergius sich bald darauf stöhnend erhob, sah Giovanni nur auf Befehl seiner Mutter hoch und drückte sich dann ängstlich an mein Bein.
»Vergebt mir, meine Töchter!«
Erneut war er kaum zu verstehen, so leise sprach er. Sein Stock klackte auf den Boden, aber seine Schritte wirkten so unsicher, daß Marozia seinen Arm ergriff und ihn führte, bis wir im Atrium auf seine Begleiter stießen. Ich hatte den kleinen Giovanni mitsamt seinem Vögelchen auf den Arm genommen und blieb zurück, sah aber noch, wie Papst Sergius Marozia erneut segnete und sie sogar eine Umarmung andeutete.
Im Raum der Kinder angekommen, wurden wir von Alberico mit lautem Geschrei begrüßt. Giovanni erschrak und ließ seinen kleinen Freund fliegen. Aufgeregt flatterte der Stieglitz zu einer Stange am Fenster.
Ich übergab die Jungen den Kinderfrauen und begab mich wieder zur Loggia. Mein Herz pochte laut und hektisch. Marozia war ebenfalls zurückgekehrt und setzte sich neben mich. Die Sonne schob sich hinter die schwarze Silhouette einer Kuppellaterne und warf einen letzten rötlichen Schein auf eine Marmorfigur, die eine Fackel nach unten hielt. Die Figur mochte noch aus der Zeit der alten Römer stammen: Vereinsamt stand sie auf einem Dachsims, mit gesenktem Blick, angeschwärzt von einem Brand. Die Sonne war nun verschwunden, der Himmel schien sich entflammen zu wollen, doch stürzte er rasch in lila verfärbte Dunkelheit ab.
»So stirbt der Mann, der uns beide verbindet. Ich habe ihm tatsächlich längst vergeben, denn er hat mich von einer vergeblichen Sehnsucht befreit«, sagte Marozia in die Nacht hinein.
Ohne zu antworten, sah ich noch lange die gesenkte Fackel vor mir.
38
Kaum hatte man Papst Sergius in der Lateranbasilika beigesetzt, herrschte nicht nur die gewohnte Unruhe auf Roms Straßen, es schwirrte die Stadt auch von Gerüchten. War es mit rechten Dingen zugegangen, daß Papst Sergius so unerwartet und rasch verfiel? War er gar vergiftet worden? Und wenn, durch wen? Wer konnte ein Interesse daran haben?
Diejenigen, die weniger zurück als nach vorne schauten, stellten sich die Frage: Wen fassen Konsul Theophylactus und sein Schwiegersohn Alberich von Spoleto als nächsten Papst ins Auge? Ich sehe regelrecht die Männergruppen vor mir, die sich, von Hühnern umpickt, auf Roms Plätzen trafen oder vor Tavernen zusammenstanden, sich zuzwinkerten oder höhnisch die Augenbrauen hochzogen und dann in gemeinsames Gelächter ausbrachen. Jeder wußte, daß nicht Theophylactus und Alberich die entscheidenden Drahtzieher waren, sondern Theodora, das Gauklermädchen mit undurchsichtiger Herkunft und einem unermeßlichem Goldschatz, die schwarzbemalte Liebhaberin des Erzbischofs von Ravenna, die ihr Treiben, so war über Diener und schwatzhafte Mägde durchgesickert, kaum verstecke. Der Erzbischof halte sich seltener in Ravenna als in Rom auf, und so sei es im Grunde keine Frage mehr, wer als nächstes den Papstthron besteige. »Dann, endlich, hat Theodora ihren Liebhaber vor Ort, sie kann sich als heimliche Päpstin fühlen, und der Lateran ist das reine Freudenhaus.«
Wird man später einmal, so frage ich mich heute, noch immer im flackernden Halbdunkel unserer Gruft auf meine Freilassung wartend, auf diese verhöhnende Weise von Theodora und Papst Johannes reden und schreiben? Wird ein eifriger Mönch oder sogar ein bischöflicher Annalist von Albericos Gnaden sich gichtgekrümmt an sein Schreibpult setzen und seinen giftgetränkten wie frömmlerischen Bericht mit der beliebten Klage o tempora , o mores ! beginnen?
Eins kann ich auf jeden Fall der Nachwelt mit einem Schwur auf alle vier Evangelien bezeugen: Markgraf Alberich wurde nicht von Theodora über den wahren Vater seines ältesten Sohnes informiert. Ich hatte diesen Plan für zu gefährlich gehalten, denn allzu wahrscheinlich war es, daß sich Alberichs Zorn gegen Marozia und ihre Mutter richtete. Er konnte Marozia samt ihrem Bastardsohn verstoßen und die Allianz mit Theophylactus aufkündigen. Sein Schwiegervater verfügte über die größeren Reichtümer, Alberich indes über die schlagkräftigeren Arme: Goldmünzen gegen
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