Die Heiratsschwindlerin
überschwänglichen Tag nicht erleben, den sie geplant hatte. Nur der ganze Stress und Trubel blieben in Erinnerung.
Sie verharrte an Millys Zimmertür, die einen Spalt offen stand, und ging unvermittelt hinein. Millys Hochzeitskleid hing noch immer in seinem Kleidersack am Schrank. Als sie die Augen schloss, hatte Olivia Millys Gesicht vor sich, bei der ersten Anprobe. Beide wussten sie augenblicklich, dies und kein anderes. Sie hatten stumm in den Spiegel geschaut, und dann, als ihre Blicke sich trafen, hatte Olivia bedächtig gesagt: »Ich denke, das müssen wir haben. Findest du nicht auch?«
Millys Maße waren genommen, und irgendwo in Nottingham war das Kleid speziell für sie nachgeschneidert worden. In den letzten Wochen hatte Milly immer wieder zur Anprobe erscheinen müssen. Und nun würde sie es nie tragen. Olivia konnte nicht anders, sie musste den Reißverschluss der Hülle öffnen, den schweren Satin herausziehen und ihn betrachten. Aus dem Inneren des Kleidersacks glitzerte ihr eine kleine schillernde Perle entgegen. Das Kleid war einfach wunderschön. Olivia seufzte und begann, den Reißverschluss wieder zu schließen, ehe sie der große Katzenjammer überkam.
James, der an der Tür vorbeiging, sah Olivia traurig mit Millys Hochzeitskleid, und ihm lief die Galle über. Ohne innezuhalten marschierte er ins Zimmer.
»Herrgott noch mal, Olivia«, schnauzte er. »Die Hochzeit ist abgesagt! Sie ist abgesagt! Geht dir das nicht in den Kopf?«
Olivia riss bestürzt den Kopf hoch. Mit zitternden Händen stopfte sie das Kleid wieder zurück in die Hülle.
»Doch, natürlich. Ich habe bloß …«
»In Selbstmitleid geschwelgt«, beendete James den Satz sarkastisch. »Hast bloß an deine perfekt organisierte Hochzeit gedacht, die nun nie mehr stattfinden wird.«
Olivia zog den Reißverschluss ganz hoch und wandte sich um.
»James, warum tust du so, als sei das alles meine Schuld?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Warum bin ich plötzlich der Sündenbock? Ich habe Milly nicht zu dieser Ehe gedrängt! Ich habe sie nicht zu einer Hochzeitsfeier gezwungen! Sie wollte eine! Ich habe bloß versucht, sie so gut für sie auszurichten, wie ich konnte.«
»Für dich zu organisieren versucht, meinst du!«
»Mag sein«, sagte Olivia. »Zum Teil. Aber was ist daran verkehrt?«
»Oh, ich geb’s auf!« James’ Gesicht war weiß vor Wut. »Ich dringe einfach nicht zu dir durch!« Olivia starrte ihn an.
»Ich versteh dich nicht, James. Ich versteh dich einfach nicht. Hast du dich denn nicht darüber gefreut, dass Milly heiratet?«
»Ich weiß nicht.« Er schritt steifbeinig zum Fenster. »Ehe. Was zum Teufel kann die Ehe einem jungen Mädchen wie Milly denn schon bieten?«
»Glück«, erwiderte Olivia nach einer Pause. »Ein glückliches Leben mit Simon.« James wandte sich um und sah sie merkwürdig an.
»Du glaubst, eine Ehe macht glücklich, ja?«
»Natürlich!«
»Tja, dann bist du ein größerer Optimist als ich.« Er lehnte sich an die Heizung, zog die Schultern hoch und musterte sie mit undurchdringlichem Blick.
»Wie meinst du das?«, fragte Olivia mit bebender Stimme. »James, wovon redest du?«
»Was glaubst du denn, wovon ich rede?«
Bedeutungsvolle Stille.
»Schau uns doch nur an, Olivia«, sagte James schließlich. »Ein altes Ehepaar. Schenken wir einander Glück? Unterstützen wir uns gegenseitig? Wir sind mit den Jahren nicht zusammengewachsen. Wir haben uns auseinandergelebt.«
»Das stimmt nicht!«, protestierte Olivia erschrocken. »Wir waren sehr glücklich miteinander!«
James schüttelte den Kopf.
»Jeder für sich vielleicht. Du hast dein Leben und ich meines. Du hast deine Freunde und ich meine. Aber das ist nicht das, worum es in einer Ehe geht.«
»Wir müssen keine getrennten Leben führen!« Ein Anflug von Panik schlich sich in Olivias Stimme.
»Ach, komm, Olivia!«, rief James. »Gib’s doch zu. Du bist mehr an deinen Gästen interessiert als an mir!«
»Nein, das bin ich nicht!« Olivia errötete.
»Doch. Sie stehen an erster Stelle, ich an zweiter. Zusammen mit der restlichen Familie.«
»Das ist nicht fair!«, schrie Olivia. »Ich betreibe diese Pension für die Familie! Damit wir in Urlaub fahren können. Uns den einen oder anderen Luxus leisten können. Und das weißt du auch!«
»Nun, vielleicht sind andere Dinge wichtiger«, meinte James. Olivia sah ihn unsicher an.
»Willst du damit sagen, du möchtest, dass ich das Bed and Breakfast
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