Die heißen Kuesse der Revolution
einem Verschlag über einer Bäckerei versteckte. Ihr Stadthaus war zerstört. Als er sie sicher auf dem Schiff von Le Havre nach England wusste, war er nach Paris zurückgekehrt, um Nadine zu suchen.
In Frankreich zu bleiben, um für sein Vaterland zu spionieren, war ihm nie in den Sinn gekommen. Zwar war seine Mutter Catherine Fortescue Französin, doch sein Vater, der Earl of Bedford, war Engländer durch und durch. Dominic Paget war auf dem Anwesen der Familie in Bedford geboren worden. Als einziger Sohn der Familie hatte er eine Ausbildung in Eton und Oxford genossen und nach dem Tod des Vaters Titel und Besitz geerbt. Obwohl er seinen Sitz im Oberhaus einige Male im Jahr mit den anderen Lords einnahm, hatte ihn die Politik nie sonderlich interessiert. Er fühlte sich seinem Land zwar verpflichtet, behielt aber vor allem die Interessen seiner Grafschaft Bedford im Auge. Deshalb hatte er es auch vor einigen Jahren abgelehnt, einen Sitz im Kabinett des Premierministers Pitt zu übernehmen.
Was mit Nadine geschehen war, hatte er nicht herausfinden können. Man hatte sie zuletzt gesehen, als das Haus seiner Mutter von tobenden Massen zerstört worden war. Catherine befürchtete, sie sei zu Tode getrampelt worden. Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien war er von den Ereignissen der Revolution in Frankreich so beunruhigt, dass er sich mit anderen hohen Adeligen traf, um über die Folgen zu beraten. Unter ihnen war auch der konservative Historiker Edmund Burke, der über zahlreiche Beziehungen zu wichtigen Politikern verfügte. Was Dominic bei seinem Aufenthalt in Frankreich eher beiläufig aufgeschnappt hatte, verunsicherte Burke dermaßen, dass er ihn dem Premierminister vorstellte. Aber es war schließlich Sebastian Warlock, der ihn überredete, erneut nach Frankreich zu reisen, um zu spionieren.
Es war unmöglich festzustellen, wer letztendlich hinter die wahre Identität von Jean-Jacques Carre gekommen war. So hatte er sich in Frankreich genannt. Es konnte jeder Pariser Bürger gewesen sein, den er getroffen, oder auch ein anderer Spion, der sich unter Michels Offiziere geschmuggelt hatte. Doch irgendwer hatte herausbekommen, dass Jean-Jacques Carre weder ein Druckereibesitzer noch Jakobiner war, sondern ein englischer Agent.
Dominic verkrampfte sich immer mehr. Er war beängstigend schwach und daher verwundbar. Bei jedem Atemzug schossen die Schmerzen wie Nägel durch seinen Rücken.
War er Feinden in die Hände gefallen, oder hatten Freunde ihn gerettet?
Befand er sich noch in Frankreich?
Als er ganz zu Bewusstsein kam, stellte er fest, dass er nicht gefesselt war. Vorsichtig öffnete er die Augen gerade so weit, dass er durch seine dichten schwarzen Wimpern linsen konnte.
Er achtete darauf, den Rhythmus seines Atems nicht zu verändern. Außer den Augenlidern rührte er keinen Muskel. Dominic spürte, dass er nicht allein war. Wer immer sich in seiner Nähe befand, sollte annehmen, er würde noch schlafen.
Undeutlich konnte er die Umrisse einer kleinen Schlafkammer erkennen. Er erahnte eine Kommode, ein Fenster. Der Duft von Seetang und salziger Luft drang in seine Nase.
Er war ganz in der Nähe einer Küste. Aber welcher Küste?
Er versuchte, sich an möglichst viele Ereignisse der letzten Zeit zu erinnern. Hatte er nur geträumt, dass er längere Zeit auf einem Fuhrwerk liegend durch die Nacht gefahren war? Hatte er das gemächliche Schaukeln eines Schiffs, das Knarzen der Masten und das Flattern der Segel geträumt? Was war mit ihm geschehen, seit er verwundet worden war? Verschwommene Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, darunter das von einer Frau mit tizianrotem Haar, die sich über ihn beugte, ihn säuberte und sich um ihn sorgte.
Plötzlich tauchte genau diese Frau tatsächlich in seinem Blickfeld auf. Er erkannte das rotbraune Haar, das blasse Gesicht und das elfenbeinfarbene Kleid.
„Monsieur?“ , flüsterte sie.
Auch der Klang ihrer Stimme war ihm vertraut. Es war kein Traum, sie hatte sich wirklich um ihn gekümmert.
Doch das musste noch lange nicht heißen, dass sie Freundin und Verbündete war. Könnte er sich verteidigen, wenn es notwendig werden sollte, vielleicht sogar fliehen? Er war so erschöpft und so schwach! Wer war diese Frau und warum war sie bei ihm? Gehörte sie zu Michels Leuten? Wie war er in ihre Obhut gelangt? Er war nicht sicher, ob er einfach abwarten sollte. Früher oder später musste sie den Raum einmal verlassen, dann konnte er herausfinden, in
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