Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Boden etwas gemütlicher zu machen.
Schon setzte die nächste Wehe ein.
»Es kommt!«, schrie Petra.
»Ich fang’s auf«, rief Adolf, dessen Stimme sich nun vor Aufregung überschlug und der sich offenbar vorstellte, das Kind käme katapultartig aus Petra herausgeschossen.
Wo hatten ihre Kinder diesen Typen aufgegabelt? Auf einem anderen Planeten?
Und dann presste Petra. Sie presste und schrie und wurde fast ohnmächtig.
»Super!«, rief Adolf, dessen phlegmatische Dusseligkeit einer echten Begeisterung gewichen war. »Ey, so was Geiles! Du kriegst’n Kind!«
Es war unglaublich, aber Petra musste lachen. Die Situation war so absurd, dieser fusselige Typ auf so eine bizarre Art anrührend, ihr Gehirn von Schmerz und Hormonen an den Rand der Funktionsfähigkeit getrieben – alles war so außer Kontrolle, dass sie schrie und lachte und wieder schrie, vor Schmerz und Unglauben über das, was hier gerade geschah.
Und dann klingelte es schon wieder an der Tür. Adolf rannte hin und öffnete. Zwei Sanitäter kamen hereingeeilt. Sie erfassten die Situation mit einem Blick, drängten Adolf zur Seite und beugten sich zu Petra hinunter. Sie streiften sich Handschuhe über.
Einer kniete sich zu ihren Füßen und sagte zu seinem Kollegen: »Bei der nächsten Wehe ist es da.«
Der andere schaute Petra an und sagte: »Sie haben es fast geschafft. Kraft sammeln und gleich noch einmal ganz doll pressen.«
Als Petra nur schnaufte und keuchte, fragte er: »Alles okay bei ihnen? Geht’s?«
»Adolf!«, schrie Petra.
Beide Sanitäter starrten sie fassungslos an. Sie hatten im Fortbildungskurs nicht nur gelernt, was die Erstversorgung nach einer Geburt umfasste, sie waren auch vorgewarnt worden, dass Frauen oft pöbelten und wie von Sinnen schienen, wenn sie ein Kind bekamen. »Es ist, als ob man einen Basketball durch die Halsöffnung eines Rollkragenpullovers drückt«, hatte die Hebamme in dem Kurs erklärt. »Das tut mörderisch weh. Auf diesen Schmerz reagieren Frauen mitunter sehr irrational.« Aber nach Hitler rufen? Halfen sie etwa einer Nazifrau, einen neuen Führer zu gebären? Ihre Fassungslosigkeit verstärkte sich, als sich auch noch dieser schräge Typ in seiner Unterwäsche zu Petra hinunterbeugte und sagte: »Ja?«
»Nimm meine Hand!«, befahl Petra.
Adolf war überrascht. Er war nicht der Typ Mann, mit dem Frauen üblicherweise Händchen halten wollten. Er griff nach Petras Hand und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, als sie unverzüglich begann, seine Finger zu zerquetschen. Die nächste, die letzte Wehe hatte begonnen!
Einige Minuten später lag Petra auf einer Trage. Einer der beiden Sanitäter und Adolf trugen sie die Treppen hinunter zum Krankenwagen. Der andere Sanitäter trug das Kind. Ein Junge. Winzig. Zerbrechlich.
Adolf lächelte Petra verlegen an, als sie kurz darauf in den Krankenwagen geschoben wurde.
»Ohne dich wäre ich aufgeschmissen gewesen«, sagte Petra.
»Hey, kein Problem«, sagte Adolf.
»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll«, sagte sie.
Adolf grinste. »Du kannst das Kind ja nach mir nennen.«
Petra lachte schwach.
Der Sanitäter stieg mit dem Kind auf dem Arm zu Petra in den Krankenwagen, dann wurde die Tür zugeschlagen und der Wagen fuhr mit Blaulicht davon.
Erst jetzt bemerkte Adolf, dass er immer noch bloß Unterhose und T-Shirt trug. Die Leute, die an ihm vorbeigingen, beäugten ihn skeptisch. Hoffentlich hatten die Sanitäter die Wohnungstür nicht zugemacht.
* * *
Nele war sauer. Sie wollte unbedingt mit dem neuen Baby von Tante Petra spielen. Das ging aber nicht, weil der kleine Junge in einem Brutkasten lag. Erst hatte Nele gedacht, Onkel Dille hätte wieder einen seiner Witze gemacht, als er das sagte. Das mit dem Brutkasten. Brüten, das hatte Nele im Sachunterricht gelernt, war das, was die Hühner machten. Aber Kinder legten doch keine Eier. Dann hatte Mama ihr erklärt, dass ein Brutkasten in einem Krankenhaus stand und dass man da alle Kinder reintat, die zu früh aus ihrer Mutter rausgekommen waren und noch Hilfe beim Wachsen brauchten. Nele stellte sich diesen Brutkasten riesig vor. Wenn da alle Kinder reinkamen, die zu früh geboren wurden – das musste ja ein Riesengedrängel sein. Das hätte sie echt gern mal gesehen.
Es war große Pause. Nele spielte mit ihren Freundinnen Eckenticken. Das Spiel hatte sie sich selbst ausgedacht. Man musste am Rand des Bolzplatzes entlangrennen, und einer, der »Ticker«, musste einen erwischen. Aber er
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