Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Wäsche. Sie ächzte, stellte den Sack auf dem Boden ab und hielt sich den Rücken, in dessen unterem Lendenwirbelbereich es bedrohlich zwickte. Das fehlte ihr gerade noch, dass sie sich jetzt einen Nerv einklemmte. Das war damals schon passiert, als sie mit Florian und Lucy schwanger gewesen war. Ein Hexenschuss im siebten Monat. Ein mieseres Timing kann man sich kaum vorstellen. Diesmal wollte sie vorsichtiger sein. Auch Dille hielt ihr ständig fürsorgliche Vorträge, dass sie sich mehr schonen und nicht so schwer heben solle. »Setz dich mal hin, ruh dich mal aus«, predigte er. Doch wenn Dilbert abends nach Hause kam, beherzigte er seinen guten Rat selbst am besten: Er ließ sich aufs Sofa fallen, schaltete die Glotze an und kam gar nicht auf die Idee, die Geschirrspülmaschine auszuräumen oder mal durchzusaugen.
Vor ein paar Wochen waren die Ladenschlussgesetze gelockert worden, und die Filiale, die Dille leitete, war jetzt täglich bis 20 statt bis 18 Uhr geöffnet. Dille kam selten vor neun Uhr abends nach Hause. Und im Allgemeinen war er dann total gerädert.
Petra machte ihm keine Vorwürfe, schließlich war es ihre eigene Entscheidung, wie sehr sie sich in die Dinge hineinkniete. Und rumdösen entsprach nun mal nicht ihrem Naturell. Niemand würde ihr einen Vorwurf machen, wenn die Wohnung vorübergehend ein wenig dreckiger wäre. Und niemand zwang sie, die Wäsche für ihre Kinder zu machen. Aber irgendjemand musste es ja tun. Die alte Waschmaschine, die Lucy und Florian auf einem Flohmarkt gekauft hatten, hatte nämlich bereits nach sechs Wochen ihren Geist aufgegeben. Seitdem ließen die beiden ihre Klamotten bloß mit einem dicken Spritzer Perwoll ein paar Stunden lang in der halbvollen Badewanne herumliegen und spülten sie danach notdürftig ab. So etwas konnte Petra natürlich nicht zulassen. Also kam sie alle zwei bis drei Wochen vorbei, packte in den Zimmern ihrer Kinder einen Müllsack mit Dreckwäsche zusammen, fuhr ihn zu sich nach Hause, wusch die Klamotten in ihrer Maschine, trocknete sie, legte sie sorgfältig zusammen und brachte sie zurück. Meistens waren Lucy und Florian gar nicht da, wenn sie kam. Petra hatte einen Schlüssel.
Der letzte Mitbewohner ihrer Kinder – der dritte in fünf Monaten – war neulich ohne Vorwarnung und ohne eine neue Adresse zu hinterlassen einfach verschwunden. Die letzte Monatsmiete hatte er geprellt. Immerhin hatte er den Schlüssel dagelassen, sonst hätte Petra darauf bestehen müssen, dass ihre Zwillinge das Türschloss auswechselten.
Petra hievte den Wäschesack die Treppe hinauf. Der Fahrstuhl war zwar betriebsbereit, was für diesen Fahrstuhl keineswegs selbstverständlich war, doch so oft, wie der schon stecken geblieben war, wollte Petra es nicht riskieren, sich in seinem Inneren zu befinden, wenn er wieder einmal beschloss, seinen Dienst zu quittieren. Und es waren ja auch nur drei Etagen.
Petra schnaufte, als sie schließlich vor der Tür ihrer Kinder stand. Sie hielt sich erneut den Rücken. In ihrem Inneren rumorte es. Sie hatte Krämpfe.
Petra klingelte. Eigentlich wollte Lucy an der Uni sein (sie hatte sich für Sinologie als Studienfach entschieden, weil sie China »voll geil« fand), und Florian war für eine Woche bei Freunden im Wendland. Aber so wankelmütig, wie ihre Zwillinge waren, war es ebenso gut möglich, dass Florian plötzlich gute Gründe gegen das Wendland gefunden und Lucy über Nacht ihr Interesse an China verloren hatte. Petra wollte nicht riskieren, ihre Kinder bei weiß der Geier was zu überraschen, nur weil sie einfach so deren Wohnung betrat. Als aber auch nach dem zweiten Ding-Dong keinerlei Aktivität in der Wohnung zu vernehmen war, schloss Petra die Tür auf und zerrte den Müllsack hinter sich in den Flur. Im Flur hing ein Poster, das sie noch nicht kannte. Es war der Aufruf zu einer Demo gegen dieses Gefangenenlager in Kuba, das die Amerikaner dort unlängst errichtet hatten. Drei leere Bierkisten standen unter dem Plakat. Petra zog den Müllsack an Guantánamo und Gerstensaft vorbei. In dem Moment, als sie die Tür zu Lucys Zimmer öffnen wollte, hörte sie eine Männerstimme hinter sich.
»Moin«, sagte die Stimme.
Petra schrie laut auf und drehte sich erschrocken um. Ihr Herz raste. Hinter ihr stand ein junger Mann. Er trug nur eine Unterhose und ein T-Shirt. Offenbar war er gerade erst aufgewacht.
»Tschuldigung«, murmelte der Mann und kratzte sich im Schritt. »Wollte dich nich erschrecken.
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