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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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durfte nur ticken, wenn man nicht auf einer Ecke stand. Da war ticken verboten. Gerade hatte Nele Julia getickt, als die Jungs aus der Zweiten kamen. Einer von ihnen hatte einen Fußball unterm Arm, und die Mädchen wussten, was das bedeutete: Sie mussten verschwinden, weil die Großen jetzt den Bolzplatz für sich beanspruchten.
    Während Julia und die anderen in vorauseilendem Gehorsam vom Platz gingen, blieb Nele stehen. »Wir spielen hier«, sagte sie.
    »Haut ab!«, sagte einer der Jungen.
    »Wir waren zuerst da«, beharrte Nele.
    »Aber jetzt sind wir dran«, sagte ein anderer Junge.
    Nele verschränkte resolut die Arme vor der Brust. Sie würde nicht weichen. Das war voll ungerecht, dass sie jetzt weggehen sollten. Nur weil das Jungs waren. Und aus der Zweiten.
    Nele bemerkte, dass sich auch Jegor unter den Jungen befand. Sie schaut ihn an und lächelte. Bestimmt würde er ihr zur Seite stehen. Schließlich hatte sie ihm Silvester geholfen. Und einmal, auf dem Nachhauseweg von der Schule, hatte sie ihn gesehen, wie er ganz allein vor sich hin schlenderte und wieder so unglücklich aussah, und da hatte sie hallo gesagt und war einfach neben ihm hergegangen. Sie hatte ihm gezeigt, wo sie einmal einen Igel gesehen hatte. In diesem Hinterhof, mitten in der Stadt. Einen Igel. Irre, oder?
    Und Jegor hatte gefragt: »Hat der dich gepikst?«
    »Ich hab ihn nicht angefasst«, hatte Nele geantwortet.
    »Die Scheißviecher piksen«, hatte Jegor gesagt und war einfach weggegangen. Ohne Tschüß. Ohne gar nichts. Einfach weggegangen.
    Aber sie war nett zu Jegor gewesen. Und er kannte sie. Also würde er ihr helfen, dachte Nele. Doch Jegor schaute sie nur kurz an und dann gleich wieder weg. Nele war enttäuscht.
    »Los! Geh weg!«, bekräftigte einer der Jungen noch mal, und als Nele erkannte, dass sie das letzte Mädchen auf dem Bolzplatz war, dass all ihre Freundinnen längst weit entfernt standen und die Szenerie neugierig beäugten, aber keinerlei Anstalten machten, ihr Recht auf die Spielfläche einzufordern, erkannte sie die Aussichtslosigkeit der Situation.
    Sie ging vom Platz, und die Jungen stürmten mit dem Ball darauf. Jegor folgte den Fußballern. Etwas langsamer allerdings. Ohne rechtes Interesse. Dann drehte er sich noch einmal kurz zu Nele um und schaute sie an. Mit seinen wütenden Jegor-Augen. Nele zeigte ihm den Mittelfinger. So wie sie es von Onkel Dille gelernt hatte.
    * * *
    Susann hatte Körbers Idee toll gefunden. Es war höchste Zeit, dass man sich auch mal außerhalb der Arbeitszeiten traf. Körber, der Sportlehrer, hatte vorgeschlagen, dass das gesamte Lehrerkollegium gemeinsam das Endspiel der Fußball-WM anschaute. Die Schüler hätten ständig Klassen- und Schulfeste, die Lehrer aber wurschtelten immer nur einzeln vor sich hin. Das sollte man unbedingt ändern. Viele Kollegen waren ebenso angetan von diesem Vorschlag wie Susann, und so war die Sache schnell beschlossen.
    Körber hatte gesagt, er würde diesen neumodischen Beamer, den die Schule für teures Geld angeschafft hatte, in die Pausenhalle stellen. Da wäre eine große Leinwand und reichlich Platz. »Wenn da so viel Platz ist, können wir doch auch unsere Partner mitbringen«, hatte die junge Frau Fitz (Sozialkunde, Deutsch, Geschichte) vorgeschlagen. Allgemeine Zustimmung.
    Susann hatte Piet natürlich gefragt, ob er mitkäme, auch wenn sie die Antwort bereits kannte. Er war weder an Fußball noch an Susanns Kollegen besonders interessiert. Susann hatte in letzter Zeit an Piet eine seltsame Antriebslosigkeit bemerkt, eine Unzufriedenheit, fast schon eine Spur von Melancholie. Obwohl nichts um ihn herum sich verändert hatte, schien er nicht mehr zufrieden mit seinem Leben.
    Susann gab ihr Bestes, um gute Laune zu verbreiten. Nele liebte ihren Papa abgöttisch. Und seine zweite Karriere als Krimiautor war erfolgreich angelaufen. Der Verlag brachte Piets Buch demnächst mit einer beachtlichen Startauflage und sogar einer kleinen Anzeigenkampagne auf den Markt. Es ging ihnen gut. Doch Susann sah in Piets Augen, erkannte an seiner nachlassenden Energie, seiner schwindenden Geselligkeit, dass er mit irgendeinem Dämon kämpfte. Sie hatte ihn gefragt, ob ihn etwas quäle. »Nein, wieso?«, hatte er geantwortet. Und Susann hatte, so schwer es ihr auch fiel, beschlossen, nicht nachzuhaken. Sie hoffte, dass ihr Mann nur in ein kleines Loch gefallen war, aus dem er sich mit eigener Kraft würde befreien können. Sie konnte ihm schließlich nicht

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