Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Ein Probieren, ein Zögern, ein Hauchen.
»Ich liebe dich«, sagte Piet. Er rückte ein Stück von ihr ab, sah sie an und wurde ganz ernst.
Zu ernst, fand Susann.
»Gut, mein Galan«, sagte Susann, die keine Stimmungsveränderung wollte, mit übertrieben verruchter Stimme: »Könntest du mich dann bitte ins Schlafzimmer bringen und ficken?«
Piet hob sie mit einem Ruck hoch, und Susann lachte auf. Sie kicherte wie ein kleines Mädchen, als er sie ins Schlafzimmer trug.
Silvester 2002
I ch war derjenige gewesen, der darauf gedrängt hatte, dass wir den Jahreswechsel immer gemeinsam begehen. Ich war es gewesen, der nachdrücklicher als alle anderen die Gemeinschaft der Kirschkernspuckerbande beschwor. Doch an diesem Abend, dem Silvesterabend des Jahres 2002, hatte ich keine Lust auf dieses Treffen. Ich hätte lieber zu Hause auf dem Sofa gesessen und mir einen oder zwei alte Filme angeschaut. Es gab nichts Konkretes, was mir die Lust auf diesen Abend verhagelte. Mir war nur einfach nicht nach Feiern zumute.
Dieses Jahr richteten Dille und Petra die Party aus. Petra wollte es so, wegen des Babys. Sven, Jörn, Susann und ich hatten vorher besprochen, was wir alles mitbringen würden, um die nach wie vor klamme Kassenlage unserer Freunde nicht überzustrapazieren. Ich hatte einen Nudelsalat gemacht, Susann hatte Frikadellen gebraten und Baguettebrot und eine Auswahl Käsesorten besorgt. Voll bepackt standen wir vor der Tür unserer Freunde und klingelten.
Nele feierte bei einer Schulfreundin, deren Eltern genau wie wir eine Möglichkeit gesucht hatten, ihr Einzelkind an diesem Abend mit gleichaltriger Gesellschaft zu erfreuen. Mit uns alten Knackern hätte sich Nele nur gelangweilt. Ich selbst sah mich allerdings auch nicht gerade ausgelassen durch die Nacht tanzen. Ich verstand meine Trägheit selbst nicht. Es war, als hätte jemand meinen Stecker gezogen und als liefe mein Akku bereits auf Reserve. Das ging schon seit Wochen so. Ich bemühte mich, es mir nicht anmerken zu lassen. Auch zu Hause nicht. Mitunter spielte ich Susann fast so etwas wie Theater vor, gab mich fröhlicher, lockerer und manchmal sogar lüsterner, als ich war. Es war nicht so, dass mich der Weltschmerz fest im Griff hatte. Ich war okay, alles in allem. Ich war nur … schlapp.
Meine nicht vorhandene Partylaune sank noch weiter, als Dille die Tür öffnete und mir aus dem Wohnzimmer dieser unglaublich blöde Ketchup-Song von diesen spanischen Pop-Trullas entgegendröhnte. Es schien ein Naturgesetz zu sein, dass das iberische Volk den Rest Europas in regelmäßigen Abständen mit klebrigen Señoritas malträtierte, die unerträglich eingängige Liedchen trällerten. In den Siebzigern waren es diese gruseligen Baccara-Frauen gewesen, in diesem Jahr waren es drei obskure Hopsen, die eine Hymne auf zuckerhaltige Tomatensauce herausjuchzten.
Dille summte fröhlich mit, während er erst Susann umarmte und dann mich. »Petra kommt gleich«, sagte er. »Sie stillt noch.«
Dille und Petra hatten ihre Wohnung mit Luftschlangen und Ballons geschmückt. Auf den Tischen standen mehrere fast überquellende Schalen voller Knabberkram. Chips, Flips, Nüsse, Salzstangen. Dille bekam das Zeug zum Einkaufspreis. Wir stellten das Essen, das wir mitgebracht hatten, dazu.
Las Ketchup verstummte, Gott sei Dank, dafür erklang jetzt »Murder on the Dancefloor«. Immer, wenn man denkt, es geht nicht schlimmer …
Petra trat zu uns ins Wohnzimmer. Im Arm hielt sie ihren Sohn. Sie hatten ihn Adrian genannt. Schöner Name, fand ich. Und er war ein schönes Kind. Ich gebe zu, es ist ein wenig macho und wahrscheinlich sogar blöd, das zu sagen, aber ich finde, Frauen, die Babys im Arm halten, sind einfach ein wunderschöner Anblick. Ein Anblick, der mich rührt.
Petra sah stolz aus, und ihr Gesicht leuchtete, wie es die Gesichter von frischgebackenen Müttern oft tun: glücklich und ein wenig erschöpft.
Wir begrüßten einander und bewunderten das Baby.
»Was wollt ihr trinken?«, fragte Dille.
»Bier«, sagte ich.
Susann wollte Weißwein.
Als es an der Tür klingelte und Dille ging, um zu öffnen, reichte Petra mir das Baby, um uns einzuschenken. Sie gab den kleinen Adrian mir, nicht Susann. Was soll ich sagen: Ich bin nun mal der Typ Mann, dem Frauen ihre Babys anvertrauen. Sie wissen, dass ich weiß, wie man sie hält, dass man ihren Kopf stützen muss und dass man sie nicht empört fallen lässt, falls sie einem auf die Schulter kotzen. Ich bin mir immer
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