Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
hatte.
In Bernhards Wohnhaus herrschte eine beachtliche Fluktuation. Kaum jemand schien hier länger als drei oder vier Jahre zu leben. Eine Menge Leute wussten überhaupt nicht, wer Bernhard war. Selbst die, die schon hier wohnten, als Bernhard noch lebte, kannten ihn nicht. Es war ein anonymes Haus. Und Bernhard hatte zurückgezogen gelebt. Ich sprach mit etlichen Nachbarn, stellte Fragen, hakte nach – bis mir irgendwann ein bulliger Typ mit tätowierten Handrücken mitteilte, dass ich »nerve« und mich »verpissen« solle. Ich war versucht nachzufragen, ob er vielleicht Verwandte habe, die manchmal in Thüringen im Wald Krieg spielten, dachte mir dann allerdings, dass eine gebrochene Nase meine Recherche nur erschweren würde. Ich sprach mit einem Mann an einer Tankstelle, der Bernhard manchmal Schnaps verkauft hatte, sonst aber auch nichts über ihn wusste. Ich versuchte herauszufinden, wer Bernhards Hausarzt war, dachte mir, dass jemand, der so exzessiv trank wie Bernhard, bestimmt oft medizinische Hilfe gebraucht hatte. Doch in dem Krankenhaus, in dem Bernhard gestorben war, behielt man diese Information für sich. Datenschutz galt auch nach dem Tod. Ich war ratlos und enttäuscht und sah meine Nachforschungen schon beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatten – bis ich dann doch noch jemanden traf, der Bernhard kannte. Und zwar viel besser als all wir Kirschkernspucker zusammen. Ihr Name war Anita.
* * *
Dille konnte es nicht fassen. Er war noch nicht einmal eine Viertelstunde auf dem Crosstrainer und schwitzte und keuchte bereits, als hätte er einen Achttausender ohne Sauerstoffgerät bestiegen. Dabei war das Gerät nur auf Stufe 3 eingestellt, dem »Einsteigermodus«, wie der Trainer ihm erklärt hatte.
»Gehen Sie es ruhig an«, hatte der Trainer gesagt. »In Ihrem Alter, untrainiert, da zerrt man sich schnell etwas. Und die Pumpe muss sich auch erst mal daran gewöhnen, dass sie plötzlich etwas zu tun bekommt.«
Dille war pikiert gewesen. Es war eine Unverschämtheit von diesem waschbrettbauchigen Jüngling, ihn als halbvergammelte Couch-Potato hinzustellen. Dille hatte schon erklären wollen, dass er in seinem Job viel auf den Beinen und in Bewegung war, hatte es sich aber doch verkniffen. Denn es stimmte einfach nicht. Er war stolz darauf, kein normaler Angestellter im Supermarkt zu sein, sondern Marktleiter. Und die, da musste man ehrlich sein, saßen die meiste Zeit am Schreibtisch. Und genau deshalb war er ja auch hier. Um fitter zu werden, um die stetig größer werdenden Röllchen an der Hüfte in Angriff zu nehmen, um sich nicht wie ein alter, müder Mann zu fühlen.
Die Mitgliedschaft in dem Fitnesscenter war nicht gerade günstig. Knapp achtzig Euro kostete sie pro Monat. Es wäre billiger gewesen, wenn er sich gleich auf eine jährliche Mitgliedschaft verpflichtet hätte, doch Petra hatte ihm geraten, vorerst eine monatliche Mitgliedschaft zu wählen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auch diese Aktivität in ein paar Wochen wieder einstellen würde, wie alles, was er in einem plötzlichen Begeisterungsrausch in Angriff nahm, sei schließlich sehr hoch. Auch hier war Protest aussichtslos: Dille war zwar fest entschlossen, diesen Kraft- und Ausdauersport eisern durchzuziehen, aber er musste zugeben, dass er auch beim Paragliding, beim Geosearching, beim Schlagzeugunterricht und beim Motocross fest entschlossen gewesen war, es bis zur Meisterschaft zu bringen. Jetzt lagen ein GPS-Gerät und zwei Helme auf dem Dachboden, und das fast neuwertige elektronische Schlagzeug hatte er mit beträchtlichem Verlust bei Ebay verkauft.
Auf dem Laufband neben Dille joggte eine ältere Dame, die einen gewaltigen Busen und rund zwanzig Kilo Übergewicht mit sich herumtrug. Sie trabte gleichmäßig, völlig gelassen und ruhig atmend. Dille verrenkte sich den Kopf, um einen Blick auf das Display ihres Trainingsgeräts werfen zu können. Sie lief auf Stufe 5. Als sie bemerkte, dass der nette Mann neben ihr sie beobachtete, drehte sie sich zu Dille um und lächelte ihn an. Dille grinste unbeholfen und nickte der Frau zu. Dann stellte er seinen Crosstrainer ebenfalls auf Stufe 5. Das wäre doch gelacht!
Drei Minuten später schaltete Dille das Gerät aus und stieg ab. Er versuchte, locker und nicht einmal ansatzweise erschöpft zu wirken, doch sein hochroter Kopf und sein schnaufender Atem, den er einfach nicht in den Griff bekam, verrieten die Wahrheit.
Die nächste Dreiviertelstunde verbrachte er
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