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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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tapfer an anderen Geräten, trainierte die einzelnen Muskelgruppen und stieg dann für fünfzehn Minuten aufs Trainingsfahrrad. Stufe 4. In der Mitte liegt die Lösung. Danach schlurfte er in die Sauna. Sein Herz pochte noch eine ganze Weile, und er wusste, dass er am nächsten Tag ein einziger riesiger Muskelkater sein würde. Doch er fühlte sich gut. Richtig gut. Gleich am nächsten Tag würde er wiederkommen, beschloss Dille.
    Er ahnte nicht, dass dieser vermeintlich harmlose Beschluss weitreichende Konsequenzen haben würde.
    * * *
    Anita war Putzfrau. Sie hatte mit Bernhard zusammengearbeitet. In einem Büro in der Wuppertaler Innenstadt hatten sie gemeinsam Schreibtische gewischt, Böden gesaugt und Toiletten geschrubbt. Es war irgendein Import-Export-Laden, ein ganz normales Büro. Doch Anita war alles andere als eine ganz normale Putzfrau. Sie war schlichtweg der eigentümlichste und faszinierendste Mensch, dem ich in meinem ganzen Leben je begegnet bin. Noch nie habe ich einen Menschen kennengelernt, der sich so vollständig allen Konventionen und Spielregeln verweigert.
    Die Sekretärin der Import-Export-Firma war nicht bereit gewesen, mir den Namen von Bernhards Putzkollegen zu nennen. Aber ich hatte immerhin erfahren, dass die Büros vorwiegend am Wochenende gereinigt wurden, weil der eigentliche Betrieb in der Woche wegen der internationalen Geschäftspartner und der Zeitverschiebung oft bis in die Nacht ging. So legte ich mich am Freitagabend vor dem Gebäude auf die Lauer. Ich musste einfach wissen, wer Bernhards Arbeitskollege war. Wenn man längere Zeit zusammenarbeitete, kam man doch zwangsläufig irgendwie ins Gespräch, oder? Dieser Kollege musste einfach etwas über Bernhard wissen.
    Am zweiten Abend, einem Samstag, wurde mein detektivischer Einsatz belohnt. Der Kollege war eine Kollegin. Ich hatte Anita schon von der Straße aus durch die Fenster beobachtet, wie sie ihrer Arbeit nachging. Tanzend. Zumindest sah es so aus, als würde sie tanzen. Schwungvoll und rhythmisch rotierte sie in den Räumen. Sie hatte keine Ohrstöpsel drin, zumindest sah ich keine. Ich weiß nicht, ob es in dem Büro eine Stereoanlage oder ein Radio gab, das sie einschaltete. Nach allem, was ich heute über sie weiß, gehe ich nicht davon aus. Anita ist ein Mensch, der zum Tanzen keine Musik braucht.
    Als sie nach vollbrachter Putzarbeit aus dem Gebäude trat, fing ich sie ab.
    Anita ist mindestens 1,85 Meter groß und war damals fünfunddreißig Jahre alt. Sie ist das, was man »grobschlächtig« nennt. Sie hat breite Schultern, stämmige Beine, ausladende Hüften. Ihr brünettes Haar trug sie damals noch lang, steckte es zumeist irgendwie hoch, flocht oft irgendetwas hinein, ein Band, eine Blume, ein Tuch. Sie schminkte sich nicht, mit Ausnahme ihrer Lippen, die nicht nur rot, sondern knallrot leuchteten. Ihre Nase ist ziemlich groß. Und ihre Augen sind grün. Es ist ein seltsames, wässriges Grün, merkwürdig hell und unwirklich. Und sie hat Sommersprossen. Überall. Im Gesicht, auf den Schultern, auf den Armen.
    Ich fand sie schön. Irgendwie.
    Mit Anita verhält es sich wie mit diesen Vexierbildern. Auf den ersten Blick sieht man eine alte Frau mit vielen Falten und einem Dutt. Doch wenn man seinen Blick neu justiert, die Augen auf einen anderen Punkt des Bildes fixiert, erkennt man plötzlich eine junge, schöne Frau. Das Kinn der alten Frau ist jetzt der Hals der jungen. Der Buckel der Greisin wird zum Pelzkragen der grazilen, attraktiven Frau. So ähnlich war es auch mit Anita. Sie war nicht schön anzusehen, aber sie war ein schöner Mensch. Man musste nur wissen, wie man sie betrachtete.

    Anita kam mit großen und resoluten Schritten aus dem Bürokomplex. Ich stellte mich ihr hastig in den Weg und sagte: »Hallo.«
    Keine Frau mag es, wenn ihr ein wildfremder Mann vor die Füße springt und sie unmotiviert anquatscht. Die meisten Frauen würden wahrscheinlich einen Schreck bekommen oder zügig weitergehen und hoffen, dass ihnen diese maskuline Belästigung nicht folgte. Doch Anita blieb stehen und sah mich mit einer Offenheit und Arglosigkeit an, mit der ich nicht gerechnet hatte.
    »Hallo«, sagte sie und lächelte erwartungsvoll.
    Man sah ihr deutlich an, dass sie neugierig war, was jetzt wohl kommen würde. Zugegeben, sie hatte keinen wirklichen Grund, Angst vor mir zu haben, denn sie hätte mich locker aus den Schuhen prügeln können.
    »Ich heiße Piet«, sagte ich. »Ich war ein Freund von

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