Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
ging ein paar Schritte.
Peggy folgte ihm. Er öffnete die Tür zu dem Zimmer, das sie für sie vorbereitet hatten.
Sie hatten ein komplettes Mädchenzimmer ausgestattet, obgleich sie nicht wussten, wie lange sie Peggy bei sich behalten würden. Sie wollten ihr ein Nest bauen. Sie wollten ihr die Geborgenheit schenken, die ihr immer gefehlt hatte.
Peggy hob den Kopf, musterte das Zimmer, begutachtete das Regal, auf dem ein Teddy saß und einige Bilderbücher standen, den kleinen Schreibtisch, auf dem Papier und Filzstifte lagen. Ihr Blick huschte auch über die Bilder an den Wänden, über Löwenbabys, ein Einhorn, eine Phantasielandschaft mit Regenbogen, und über das Bett mit dem Baldachin.
Und dann lächelte Peggy. Sie zeigte auf die buntbedruckte Comic-Bettwäsche. »SpongeBob«, sagte sie.
Das war das erste Wort, das Jörn und Sven von ihrer Pflegetochter hörten. SpongeBob.
* * *
Ich hatte mich in Wuppertal in einem billigen und nicht besonders sauberen Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs eingemietet. Es war nicht weit von dem Hochhaus entfernt, in dem Bernhard gelebt hatte. Als Bernhard vor vier Jahren gestorben war, hatte ich seinen mehr als bescheidenen Nachlass geregelt, hatte in seiner Wohnung nach Spuren seines Lebens gesucht, hatte Menschen finden wollen, die ihn kannten. Mehr oder weniger vergeblich. Ich hatte herausgefunden, dass er eine bescheidene Arbeitsunfähigkeitsrente bezog, dass er zweimal die Woche in einem kleinen Büro putzte, um sein mageres Einkommen aufzubessern, dass er viel Zeit mit Internetsurfen verbrachte und dort alles über fremde Länder las. Und dass er trank. Exzessiv. Und dass niemand ihn zu kennen schien. Dass er bei seinen Nachbarn als scheuer Säufer galt, um den man einen Bogen machte – weil er deprimierend war und so sehr stotterte, dass man nicht mal mit ihm hätte reden können, wenn man es gewollt hätte. Doch das konnte nicht alles gewesen sein. Mein Freund Bernhard war mehr als Alkohol und Einsamkeit. Er musste einfach mehr gewesen sein!
Es war Mai. Ich war nicht gleich am Tag nach dem Streit mit Susann gefahren, wie ich theatralisch angekündigt hatte. Susann hatte mich überzeugt, noch eine Weile in Hamburg zu bleiben, von dort aus alles in Ruhe zu organisieren und zu recherchieren und auch noch schnell einen dritten Krimi herauszuhauen, bevor ich mich an die Arbeit an Bernhards Buch machte.
Es herrschte eine fast schon eisige Stimmung zwischen uns in dieser Zeit. Susann unternahm noch ein paar zaghafte Versuche, mich von diesem Projekt abzuhalten, doch ich blieb stur. Und ich war nachhaltig gekränkt, als naives »Sensibelchen« abgekanzelt worden zu sein. Das nahm ich ihr wirklich übel. Außerdem war ich empört über Susanns völlig falsche Einschätzung der Dinge: Mein Buch über Bernhard würde eines der wichtigsten Ergebnisse meines Lebens sein – kein romantisches Hirngespinst. Doch sosehr es mir auch widerstrebte, musste ich meiner pragmatischen Frau in einem Punkt dann doch recht geben: Geld musste verdient werden.
Tod in der Vorstandsetage war inzwischen erschienen und verkaufte sich prächtig. Bei einem Krimi-Special im Stern wurde mein Buch blumig als »grimmig-lakonischer Abgesang auf die Subkultur der Gier« gepriesen, und eine Produktionsfirma, die vorwiegend für das Fernsehen arbeitete, hatte sich die Option auf eine Verfilmung gesichert. Das hieß, diese Firma hatte ein bescheidenes Sümmchen bezahlt, um ein Jahr lang an einer eventuellen TV-Version meines Stoffs zu arbeiten, ohne dass jemand anderes ihnen die Story wegschnappen konnte. Auch wenn ich nach wie vor bloß handwerklichen und mäßigen Stolz auf meine Krimis verspürte, fand ich die Vorstellung, verfilmt zu werden, doch sehr aufregend. Mein Verlag erklärte mir allerdings, dass so eine Option noch nicht allzu viel zu bedeuten hätte. Optioniert wurde viel, verfilmt am Ende wenig. Meistens verstrich das Jahr, ohne dass etwas geschah.
Die Verkaufszahlen und das Interesse des Fernsehsenders hatten mich allerdings im Verlag zu einer festen Größe gemacht, und so erhielt ich für meinen dritten Krimi doppelt so viel Honorar wie für den ersten. Ich haute den Schmöker in wenigen Wochen heraus. Er handelte von einer Mordserie während einer Klimakonferenz und hieß Tod auf der Klimakonferenz. Originell, was?
Doch jetzt waren mir Klima und Krimi egal. Ich war in Wuppertal, um endlich herauszufinden, wie mein Freund Bernhard – der Freund, von dem ich nichts wusste – gelebt
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