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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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reden und ansehen und einander wirklich spüren konnte.
    Ich wischte mir die Kotze vom Mund, richtete mich auf und lächelte Anita tapfer an. »Hundert Dollar? Super. Wann geht die Fähre?«
    »In zwei Stunden«, strahlte Anita. »Wir können vorher noch spazieren gehen, hier im Hafen. Der Hafen von Gibraltar ist sehr malerisch.«
    »Ja«, lächelte ich, obwohl mir zum Heulen zumute war. »Das sollten wir tun. Es ist so ein schöner, milder Tag.«
    Anita war hin und weg, weil die Sonne schien und ich stattlicher, großer Mann mit ihr spazieren ging, und ich war todtraurig und wahnsinnig glücklich zugleich. Todtraurig, weil ich nicht bei Susann und Nele und meinen Freunden war, und wahnsinnig glücklich, weil ich am nächsten Tag wieder bei ihnen sein würde.
    * * *
    Kurz vor Mitternacht zogen alle ihre Mäntel und Jacken an. Dem kleinen Adrian fielen ständig die Augen zu. Er kippte vornüber und drohte jede Sekunde einzuschlafen. Petra nahm ihn auf den Arm und trug ihn die Treppe hinunter. Die anderen folgten. Jörn hielt Peggys Hand, Sven trug die Tüte mit den Raketen, den Funken- und Glitzerbatterien. Auf der Straße, auf der sich bereits unzählige feiernde Menschen versammelt hatten, zündete Susann Wunderkerzen an und verteilte sie. Nele fuchtelte lachend mit ihrer Wunderkerze herum, als wäre sie ein Degen, und animierte Peggy, es ihr gleichzutun. Peggy zögerte zuerst, aber dann machte sie mit und musste kichern, als Nele immer verrückter herumzappelte. Peggys Augen waren weit geöffnet. Es sah schön aus, wie die Funken von Neles Wunderkerze einen Schweif bildeten. Wie fliegende Lichterketten.
    Sven goss Sekt in Gläser und reichte sie an die Erwachsenen weiter. Jörn hielt Petras Glas, weil die mit dem schlafenden Adrian im Arm keine Hand frei hatte.
    Susann schaute auf ihre Uhr. Noch zwanzig Sekunden. »Gleich geht’s los«, sagte sie zu Nele und Peggy.
    Und dann begannen alle Leute auf der Straße laut die Sekunden herunterzuzählen: »Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins …«
    »Frohes neues Jahr!«, riefen alle, umarmten sich und kleckerten dabei mit dem Sekt. Nele umklammerte ihre Mutter, und Peggy wusste, dass sie lächeln sollte, als Jörn und Sven sich zu ihr herunterbeugten und sagten: »Frohes neues Jahr, Peggy!« Und weil es irgendwie schön war, wie hier alle standen und sich umarmten und nett zueinander waren, fiel es Peggy auch gar nicht schwer.
    Doch dann zündete Sven die Feuerwerksbatterie an, die krachte und zischte und so plötzlich losdonnerte, während sie Leuchtkugeln in den Himmel schoss, dass Peggy sich zu fürchten begann. Sie lief zu Nele und versteckte sich ängstlich hinter ihr. Nele nahm sie in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. Durch die dicke Daunenjacke spürte Peggy das gar nicht, aber sie merkte, dass Nele sie hielt und auf sie aufpasste, und Peggy dachte: So muss es sein, wenn man eine große Schwester hat. So wie die Kinder im Fernsehen.
    Susann betrachtete die beiden Mädchen und lächelte. Sie war stolz auf ihre Nele, sie war so fürsorglich. So reif irgendwie. Und sehr liebevoll.
    In dem Moment klingelte Susanns Handy, es war Piet. Sie ging ins Treppenhaus, wo es ruhiger war.
    »Hallo, Schatz«, sagte sie. »Frohes neues Jahr!«
    »Ich liebe dich«, sagte Piet. Seine Stimme war schleppend und brüchig.
    »Ich dich auch«, sagte Susann. »Wie geht es dir? Feiert ihr schön? Was macht ihr?«
    »Anita ist auf dem Sofa eingeschlafen, gerade als wir auf dem Weg nach Sumatra waren«, sagte Piet.
    Susann runzelte die Stirn. »Bist du betrunken?«
    »Ja«, lallte Piet. »Ich hab so was wie Kerosin getrunken und fünf Tüten Chips gegessen, und die Brosche von dem kleinen japanischen Mädchen musste ich verkaufen.« Dann lachte er. Es war ein bitteres, seltsames Lachen.
    »Muss ich mir Sorgen machen?«, fragte Susann.
    »Nein, ich rufe mir ein Taxi, gleich, und … ins Hotel und morgen früh komm ich zurück«, sagte Piet.
    »Gut«, sagte Susann.
    »Es tut mir leid«, stammelte Piet.
    »Was?«
    »Dass ich nicht da bin.«
    »Okay.«
    »Nicht nur heute.«
    »Was meinst du?«
    »Und auch sonst …«
    Susann schwieg für einen Moment. Piet war besoffen. Ganz offensichtlich. Es war allerdings nicht nur wirres Geschwätz, das er da absonderte. Eine grundlegende Traurigkeit, ein aufrichtiges Bedauern lagen in seiner Stimme. Ein echter Schmerz war zu spüren. Doch sie konnte ihn nicht einordnen.
    »Es muss dir nichts leidtun. Oder?«,

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