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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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der Ruhe zu bringen, aber die Art, wie Jörn ihre Hand hielt, brachte sie völlig aus dem Konzept. Es lag etwas so Energisches, Unmissverständliches in seiner Geste.
    »Jörn …«, sagte sie.
    Jörn erhob sich, ohne ihre Hand loszulassen, und beugte sich ein Stück zu ihr herunter. Dann ließ er ihre Hand los, nahm ihren Kopf in beide Hände und zog ihn zu seinem Gesicht heran.
    »Oh, Scheiße«, stammelte Petra, kurz bevor er sie küsste.

2005
    A ls ich am späten Nachmittag des Neujahrstages die Tür aufschloss – immer noch schwer angeschlagen von meiner volltrunkenen Weltreise mit Anita – und Susann mir im Flur entgegenkam, mich halb mitleidig, halb amüsiert anlächelte und dann wortlos in den Arm nahm, wurde mir bewusst, wie dumm ich gewesen war. Die Tatsache, dass keiner von uns in diesem Moment etwas sagen musste, dass mein Blick Entschuldigung genug war und ihre Umarmung ein vollständiges Verzeihen, war der beste und absolute Beweis unserer Liebe. Wir hielten uns, küssten uns – und alles war klar. Dann kam Nele aus ihrem Zimmer und bewarf mich mit Konfetti, das noch von der Silvesterfeier übrig war. Ich lachte. Wir alle lachten.

    Es war schön, dass Susann und ich uns in diesem Moment ohne Worte verstanden. Und es war schön, dass wir später, am Abend, doch noch redeten. Ich erzählte ihr von Anita, von dem mehr als seltsamen Silvesterabend und der unfassbaren Traurigkeit, die diese Stunden erfüllt hatte. Susann hielt meine Hand. Ich erzählte ihr, wie läppisch mir meine kleinen mentalen Zipperlein plötzlich vorkamen. Wie peinlich ich es fand, dass ich in meinem Leben eine Leere entdeckt zu haben glaubte, obwohl ich doch alles hatte, wovon andere Menschen, und nicht bloß Extremfälle wie Anita, nur träumen konnten: Liebe, Familie, Geborgenheit, Freude, ein Auskommen.
    Natürlich lässt sich nicht jede Unzufriedenheit beheben, indem man sich in Erinnerung ruft, dass es anderen Menschen weitaus schlechter geht. Aber man muss seinen Blick immer wieder neu justieren. Und die Größe seiner Probleme stets aufs Neue bewerten. Ich schrieb Krimis, obwohl ich mich nicht dazu berufen fühlte. Ich träumte insgeheim von Abenteuern und Ausbrüchen und neuen Erfahrungen, während ich im wirklichen Leben allzu viel Zeit mit Steuererklärungen, Besorgungen, alltäglichen Lappalien vergeudete. Das konnte und durfte mich manchmal nerven, ärgern und die Pfeiler meiner Existenz immer wieder hinterfragen lassen – aber ich wäre ein Idiot, wenn ich diese sporadische Unzufriedenheit als grundlegendes Problem betrachten würde. Mein Leben war gut. Es war nicht immer Ponyhof, aber wer jeden Tag ausreitet, hat irgendwann auch einen kaputten Rücken, oder?
    »Ich kann das Buch über Bernhard nicht schreiben«, sagte ich schließlich. »Es wäre anmaßend von mir. Bernhards Elend war so groß, so jenseits meiner Vorstellungskraft, dass ich nur an der Oberfläche kratzen würde.«
    Susann schaute mich erstaunt an. »Ich finde, du solltest es trotzdem versuchen«, sagte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du willst jetzt wirklich einen Krimi nach dem anderen schreiben?«, wunderte sie sich. »Das finde ich blöd. Das passt nicht zu dir.«
    Was war das denn jetzt? Da hatte ich eingelenkt, mich auf ihren Kurs begeben, alle Flausen aus meinem Kopf vertrieben, war reumütig in die Rolle des treusorgenden und verantwortungsbewussten Familienvaters zurückgekehrt – und das war ihr nun auch nicht recht? Ich werde Frauen nie verstehen.
    * * *
    Es war April, später Nachmittag. Petra lag in ihrem Schlafzimmer neben Jörn im Bett. Sie hatten sturmfreie Bude. Dille hatte an diesem Wochenende seinen ersten Halbmarathon. Adrian und Peggy waren mit Susann und Nele im Zoo. Susann wusste nicht, was zwischen Petra und Jörn vorging. Eigentlich war es sehr auffällig, wie oft die beiden Susann zu überreden versuchten, gleichzeitig auf Adrian und Peggy aufzupassen. Doch Susann kannte, wie alle Kirschkernspucker, Jörn nur als schwul. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass er eine Frau lieben würde. Dilles Frau.
    Petra zitterte. Immer wenn sie mit Jörn Sex gehabt hatte, zitterte sie danach für eine Weile. Es war ein wohliges Zittern, ein Entladen. Als ob ihr Körper herunterfahren musste. Sex mit Jörn war unglaublich schön. Er war ein völlig unkalkulierbarer Liebhaber. Er berührte sie, wo Dille sie nie berührt hatte – in der Kniekehle, an der Innenseite der Schenkel, am Nacken. Er küsste unglaublich gut. Und er

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