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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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fragte sie, um der Melancholie ihres Mannes auf den Grund zu gehen.
    »Nein. Ja. Nicht, was du denkst.«
    »Was denke ich denn?«
    Piet lachte bitter. »Wuppertal ist die traurigste Stadt der Welt. Und ich muss es wissen. Ich bin heute um die ganze Welt gereist.«
    »Piet …«
    »Ja?«
    »Geh schlafen.«
    »Ja.«
    »Gute Nacht.«
    »Gibst du mir noch mal Nele?«
    »Nein.«
    »Was?«
    »Ich will nicht, dass sie dich so hört.«
    »Oh … Ja … Okay.«
    »Gute Nacht, Piet.«
    »Es tut mir leid.«
    »Dir muss nichts leidtun. Komm einfach morgen nach Hause.«
    »Ja …«
    »Ich liebe dich.«
    »Ich dich auch.«
    »Frohes neues Jahr.«
    »Ich liebe … neues Jahr. Nacht, Schatz. Oh, Mann …«
    Susann seufzte. Es tat ihr leid für Piet, dass er offenbar nicht das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Andererseits war sie auch erleichtert, dass das Ganze nun hoffentlich erledigt war.
    Als sie aus dem Treppenhaus zurück auf die Straße trat, sangen alle Leute »Schnappi, das kleine Krokodil«. Irgendjemand hatte das Lied auf seiner Stereoanlage eingeschaltet, dann eine Lautsprecherbox auf die Fensterbank gestellt und die ganze Straße damit beschallt. Jeder grölte das infantile Liedchen mit und lachte. Es war ein absurdes Szenario, wie all die erwachsenen Menschen diese alberne Kindermelodie herausquakten. Sogar Peggy, bemerkte Susann, sang zögerlich mit.
    Dann kam Sven auf Susann zu und sagte: »Du, ich hab’s Jörn schon gesagt, ich geh noch kurz auf ein Stündchen ins Literaturhaus. Wir sind hier ja eigentlich so weit fertig, oder? Ich meine, die Kinder schlafen ja bestimmt gleich und so.«
    Susann sah Sven nur an und nickte.
    »Frohes neues Jahr«, sagte Sven und ging davon.
    Susann schaute zu Jörn hinüber, der weniger wütend als müde aussah. Der arme Kerl. Es stand ganz offensichtlich nicht gut um Sven und Jörn. Sie war auf Jörns Seite, obwohl Susann und Sven einmal die allerbesten Freunde gewesen waren. Aber Sven war nicht mehr derselbe. Susann hatte immer gedacht, dass Menschen sich nicht so vollständig veränderten, dass der Kern doch bleiben musste. Doch bei Sven fand sie diesen Kern einfach nicht mehr. Es war entsetzlich. Der nette, einfühlsame, witzige Sven war verschwunden, und stattdessen war da nun dieser ehrgeizige, souveräne, kreative Mann, der kurz nach zwölf die Feier mit seinen Freunden verließ, weil man ja »so weit fertig« war. Würde Sven in einem seiner Stücke auftreten, wäre er die herzlose Figur, beispielsweise die getriebene, ichzentrierte Mutter in Tschechows Die Möwe oder so. Bemerkte Sven wirklich nicht, dass er der falsche Charakter in dem richtigen Stück geworden war?

    Susann und Nele gingen um kurz nach eins nach Hause.
    Petra blieb noch bei Jörn. Peggy schlief in ihrem Zimmer, und Adrian schlummerte in Jörns und Svens Bett. Jörn schenkte Petra und sich einen Espresso ein. Er sah müde aus.
    Petra überlegte, wie sie ihn trösten könnte, doch Trost war nicht ihre Spezialität. Sie war nicht Susann. Sie war nicht gut darin, aufmunternde Dinge zu sagen. Sie war kein Kopf-hoch-Mensch, der die Welt mit Zuckerguss überzog. Sie sagte, was sie dachte. Und als sie den Espresso ausgetrunken hatte, sagte sie: »Männer sind Wichser.«
    »Na, vielen Dank«, sagte Jörn.
    »Du nicht«, sagte sie. »Andere Männer. Dille hat nicht mal angerufen. Er hat nur eine SMS geschickt.«
    Sie hielt das Handy hoch, so dass Jörn die Textnachricht lesen konnte: Frohes neues Jahr, Suesse! Ist super hier. Breche meine eigenen Rekorde. Liebe dich. LG D.
    »Du hättest ihn auch anrufen können«, gab Jörn zu bedenken.
    »Er muss sich melden. Er hat uns hier allein gelassen«, stellte Petra kategorisch fest.
    »Du bist nicht allein, ich bin da«, lächelte Jörn.
    »Ja«, sagte Petra. »Das bist du.«
    Die beiden schauten sich an, und keiner sagte etwas. Urplötzlich herrschte eine seltsame Stimmung. Die Müdigkeit schien jäh von ihnen abgefallen zu sein. Sie waren … aufgeregt. Eine merkwürdig intensive Atmosphäre füllte den Raum zwischen ihnen, die Luft war wie aufgeladen. Wenn Petra es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gedacht, da knistere etwas. Da schlugen Funken. Da lag Lust im Raum. Begehren und Magnetismus. Doch Jörn war schwul. Und Petra war kein Mann.
    »Peggy war gut drauf heute«, sagte sie, nur, um irgendetwas zu sagen.
    Jörn schaute Petra mit einem seltsamen Blick an. Dann nahm er plötzlich ihre Hand. Petra zuckte zusammen. Sie war üblicherweise nicht leicht aus

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