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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Waise und ihr Onkel habe sie immer so komisch angefasst und noch mehr und ob wir ihr nicht helfen können. Ob wir ihr nicht bitte, bitte helfen können.«
    Ich betrachtete Anitas leuchtende Augen und fragte mich, wie dieser Stadtteil noch hieß, in dem unser Hotel war, und hoffte, dass Anita den Weg finden würde. Und ich dachte: Was für eine traurige Geschichte von so einer fröhlichen Frau. Und ob wir das arme Mädchen wohl vor ihrem Onkel retten und mit in unser Hotel nehmen könnten oder ob das nicht irgendwie seltsam oder gar obszön wirken würde – zwei schöne, stattliche Europäer mit einem kleinen asiatischen Mädchen auf dem Hotelzimmer? Nicht, dass wir da noch Ärger kriegten. Aber man kann ja nicht sein ganzes Leben lang darauf verzichten, die richtigen Dinge zu tun, nur weil man keinen Ärger haben will. Und die arme Anita musste schließlich gerettet werden, nein, Quatsch, das arme japanische Mädchen musste gerettet werden, und Anita hielt mir noch ein Schnapsglas hin, und ich trank es in einem Zug und dachte: Was für eine seltsame Silvesterfeier …

    Viele Schnäpse später, es war inzwischen nach 23 Uhr, lag ich auf dem Sofa. Anita saß vor mir auf dem Boden. Ich schaute das Rosina-Wachtmeister-Poster an, das an der Wand hing. Es waberte und verschwamm vor meinen Augen. Wir waren bereits bei der zweiten Schnapsflasche angekommen, und ich konnte Anitas Weltreise nicht mehr richtig folgen. Mittlerweile redete sie furchtbar schnell, manisch nahezu. Auch sie war betrunken, und die Silben und Worte stolperten aus ihrem Mund, fielen hin, verhedderten sich, und Anita gerieten die Dinge bereits ein bisschen durcheinander, und ich war müde, und mir war übel, und Anita nahm meine Hand, sie packte richtig zu und sagte: »Verkaufst du die Brosche, die uns das Mädchen gegeben hat, damit wir die Fähre bezahlen können?«
    Ich wusste es nicht. Ich wollte die Brosche eigentlich behalten. Sie hatte einen großen persönlichen Wert für mich. Das japanische Mädchen hatte sie uns gegeben, obwohl diese Brosche alles war, was sie besaß. Wir hatten das arme Kind vor dem Onkel gerettet und zu Freunden gebracht, und Anita hatte dem Onkel ins Gesicht geschlagen und ihn bei der Polizei angezeigt. Aber das war lange her, und im Moment waren wir auf Gibraltar und hatten kein Geld mehr für die Fähre, nur die Brosche, die wir als Zeichen der Dankbarkeit bekommen hatten. Aber wir mussten diese Fähre nehmen, unbedingt, das war wichtig, ganz furchtbar wichtig, weil auf der anderen Seite diese Frau war, die die Medikamente brauchte, die wir besorgt hatten. Sonst wäre sie verloren. Wir mussten sie retten.
    Das war es, worum es die ganze Zeit ging: Wir retteten. Wir reisten um die Welt, soffen und retteten Leute, die uns dann ganz furchtbar dankbar waren.
    Schließlich sagte ich, sie solle die Brosche verkaufen. Dann stand ich mühsam und wankend auf, fiel fast hin, riss mich zusammen, torkelte durchs Zimmer, zum Bad, und wollte eigentlich pinkeln, aber dann rumpelte dieser widerliche Korn in meinen Gedärmen, und ehe ich mich versah, hing ich über der Kloschüssel und kotzte, was das Zeug hielt. Anita kam mir hinterher, tätschelte sinnlos meinen Rücken und erklärte, dass sie hundert Dollar für die Brosche bekommen habe und dass das für die Fähre reiche. Und ich sagte, dass es keine Brosche gebe und dass es mir nicht gutgehe. Und Anita sagte, dass ich mitspielen müsse.
    Mir ging es elend. Nicht nur wegen des Schnapses. Sondern weil das der traurigste Abend meines Lebens war und weil Anita gar nicht glücklich war. Sie war keine Lebenskünstlerin, sondern eine einsame große Frau, die gerettet werden müsste. So also war Bernhards Leben gewesen: eine große Lüge. Und zum Kotzen.
    Es gab kein Geheimnis, keine Erlösung, keinen Trost und keine Parallelwelt, in der sich Menschen wie Bernhard und Anita irgendwie einrichten konnten. Es gibt nur diese eine Welt, und die hat, ob es einem passt oder nicht, ein paar Regeln, mit denen man sich arrangieren muss. Und ob man in der Schwebebahn tanzt oder weiß, wer den Regenschirm erfunden hat, ist ohne Belang, wenn man allein ist und mit Schnaps um die Welt reisen muss.
    Ich erkannte, dass ich niemals ein Buch über Bernhard schreiben würde und dass ich auch Anita nicht retten konnte und sie auch nicht mich und dass ich auch gar keine Rettung brauchte, weil ich nämlich Susann hatte und Nele und meine Freunde und eine Welt, die wirklich war und in der man sich anfassen und

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