Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
bedingungslos so geliebt hatte, wie er war.
* * *
Jörn hatte mit Peggy Kekse gebacken. Peggy war furchtbar aufgeregt, ihre Mutter kennenzulernen. Sie hatte keinerlei Erinnerung mehr an sie. So konnte sie es einerseits kaum erwarten, dass es endlich an der Tür klingelte, andererseits fürchtete sie sich davor. Peggy hatte ihr Lieblingskleid angezogen und strich es wieder und wieder nervös mit den Händen glatt.
»Und wenn sie mich nicht mag?«, fragte sie Jörn angstvoll.
»Natürlich mag sie dich, Süße«, sagte Jörn und bemühte sich um ein wackeres Lächeln. »Wie kann man dich nicht mögen? Und außerdem ist sie deine Mami. Alle Mamis lieben ihre Kinder.«
»Aber du liebst mich auch«, stellte Peggy fest.
»Natürlich«, sagte Jörn und drehte sich zur Seite, damit sie sein Gesicht nicht sah. Er hätte schreien und heulen können, riss sich aber zusammen. »Du bist meine süße, kleine Schuckelpuppe, und ich hab dich … grrrrrr … zum Fressen gern!«
Jörn tat so, als wolle er Peggy in den Arm beißen. Sie lachte laut auf und hüpfte aufgeregt durch die Küche, um dem bösen Fress-Jörn zu entkommen. Sie fand das urkomisch.
»Ich hoffe, sie mag unsere Kekse«, sagte Peggy, als sie wieder zur Ruhe kam.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Weder Peggy noch Jörn rührten sich.
»Ist sie das?«, fragte Peggy.
Jörn nickte stumm.
»Soll ich?«, fragte Peggy zögernd.
»Wir gehen zusammen«, sagte Jörn. Er nahm Peggy in den Arm, ließ sie dann aber wieder los. Es wäre Peggys Mutter gegenüber grausam gewesen, wenn sie sich ihr als liebende Einheit präsentiert hätten. Die arme Frau war sicher auch so schon unsicher genug.
So abgrundtief traurig Jörn darüber war, dass es dieses Treffen gab, so sehr fühlte er doch mit Peggys Mutter. Und mit Peggy. Es war der Lauf der Dinge. Er war Pflegevater. Es war ein Agreement auf Zeit. Es ging nicht um ihn, es ging nicht darum, dass er glücklich war – es ging um ein Kind, das es nicht leicht gehabt hatte im Leben. Jörn war stolz darauf, dass er seiner Pflegetochter Kraft und Selbstvertrauen hatte geben können. Und wenn Peggys Mutter wieder gesund war, wenn die Dinge gut liefen, wenn es Peggy guttat – dann würde er akzeptieren müssen, dass sie ihn verließ. Dass er von da an allein wäre. Ganz allein.
Es klingelte ein zweites Mal, und Jörn öffnete die Tür. Dort stand Frau Zertl, die Frau vom Jugendamt, die Peggy seit einem Jahr betreute. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, der Jörn und Sven immer mit viel Sympathie begegnet war, hatte Frau Zertl Jörn vom ersten Tag an skeptisch gegenübergestanden. Die Tatsache, dass er homosexuell und obendrein alleinstehend war, gefiel ihr gar nicht. Es war nicht richtig, solchen Leuten ein Kind anzuvertrauen, fand Frau Zertl. Und die Leute in ihrer Kirchengemeinde fanden das auch. In Bietigheim-Bissingen, wo sie bis vor zwei Jahren gelebt und gearbeitet hatte, wäre so etwas unmöglich gewesen. Aber hier, im Norden, in der großen Stadt, liefen die Dinge ja anders. Und Frau Zertl musste das akzeptieren. Sie konnte Jörn auch nichts vorwerfen. Bei allen Kontrollen, die das Jugendamt regelmäßig durchführte, gab es nie auch nur eine einzige Beanstandung. Jörn war ein kultivierter, freundlicher Mann, und die kleine Peggy, das musste auch Frau Zertl anerkennen, war gesund, gepflegt und jedes Mal, wenn sie sie traf, ein klein wenig offener, glücklicher, selbständiger. Jörn machte alles richtig. Und trotzdem …
»Hallo, Frau Zertl«, sagte Jörn und reichte ihr die Hand.
Die Sozialarbeiterin schüttelte sie und hielt danach auch Peggy die Hand hin.
»Hallo«, sagte Peggy, und Frau Zertl lächelte die Kleine an, während sie ihre Hand schüttelte.
Peggy schaute um die Ecke in den Hausflur. Da war niemand. Sie schaute Jörn fragend an. Und Jörn schaute Frau Zertl fragend an.
»Deine Mutter wartet unten im Auto«, sagte die Frau vom Jugendamt zu Peggy. »Zieh dir doch schon mal eine Jacke an. Und Schuhe.«
Während Peggy sich anzog, sagte Frau Zertl leise zu Jörn: »Peggys Mutter ist sehr nervös. Und fragil. Sie hatte Angst, Sie zu treffen.«
Jörn schaute die Sozialarbeiterin irritiert an. Er dachte, dass eine Frau, die nicht die Kraft hatte, ihm gegenüberzutreten, ihm, der sich jahrelang liebevoll um ihre Tochter gekümmert hatte, dass so eine Frau auch nicht die Kraft hätte, ein Kind großzuziehen. Denn das brauchten Kinder: Kraft. Und Selbstvertrauen. Doch Jörn nickte bloß. Er würde
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