Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
Vom Netzwerk:
große Zimmer der WG. Florian wohnte noch eine Weile mit in der Wohnung, dann zog er aus. Er irrlichterte für ein paar Monate durch diverse WGs und wohnt jetzt in einem alternativen Ökowohnprojekt in Nordfriesland. Neulich hat er seinen Eltern bei einem Wochenendbesuch ganz stolz selbst angebauten, mit keinerlei Chemikalien behandelten Mangold mitgebracht.
    Dille hat das Gemüse gemustert und gesagt: »Was’n das für Schrumpelzeug? Also, der Mangold bei uns im Laden sieht viel besser aus. Viel knackiger.«
    * * *
    Petra gab sich viel Mühe, den Kontakt zu Jörn aufrechtzuhalten. Vergeblich.
    Jörn liebte Petra. Er liebte sie sehr. Nach wie vor. Er hatte sein Leben komplett auf den Kopf gestellt, als er Sven verließ und zudem die Erkenntnis gewann, dass die Liebe sich nicht zwangsläufig um Kategorien wie homo- oder heterosexuell kümmert. Jörn hatte ein klares Bild von sich gehabt, das plötzlich nicht mehr stimmte. Er war fest überzeugt, dass Petra mit ihm glücklicher wäre als mit Dilbert, aber er hatte keine Chance, es ihr zu beweisen. Er liebte Petra so sehr, dass ihm gar nichts anderes übrigblieb, als ihr aus dem Weg zu gehen. Jede Begegnung mit ihr tat weh.
    Also konzentrierte sich Jörn voll auf Peggy. Ihr schenkte er all seine Liebe und Aufmerksamkeit, seine Geduld und seine Fürsorge. Seine Pflegetochter öffnete sich ganz langsam und blühte immer mehr auf. Man bekam eine Ahnung davon, was für ein Typ Mensch sie eigentlich war. Hinter dem scheuen, geheimnisvollen Wesen, das die ganze Welt aus großen, ängstlichen Augen betrachtete, als wäre sie selbst kein Teil davon, schälte sich langsam ein Mensch mit Vorlieben und Talenten, Stärken und Schwächen heraus. Es wurde aber auch offensichtlich, dass die Gene den Menschen mindestens genauso prägen wie das Umfeld. Jörn, der ein Bücherwurm ist und Musik liebt, gab es irgendwann auf, Peggy zum Lesen zu motivieren. All die tollen Bilder- und Kinderbücher, die er ihr schenkte, verstaubten unangetastet im Regal. Er war mit ihr ins Kindertheater und in die Kinderoper gegangen – doch Peggy hatte sich gelangweilt. Das war nicht ihre Welt. Ihre Welt war die Natur, die sie liebte, und bald schon entpuppte sich Peggy als Forscherin. Kein Waldweg konnte ihr lang genug sein, jedes Tier faszinierte sie. In der Schule hatte sie in Deutsch eine Fünf, in Sach- und Naturkunde aber eine Zwei. Jörn, der Peggys Stärken fördern und sie nicht nach seinen Idealen formen wollte, schenkte ihr einen Chemiebaukasten. Peggy steckte zwei Tage später die Emily the Strange -Designgardinen ihres Zimmers mit einem tollkühnen Phosphat-Kaliumpermanganat-Mix in Brand. Der rauchige Gestank hing noch wochenlang in der Wohnung.

    Nele besuchte Peggy oft und spielte mit ihr. Sie war so etwas wie eine große Schwester für sie geworden. Eines Tages kam Nele sehr aufgeregt von einem dieser Besuche nach Hause. Sie stürzte in den Flur, knallte die Wohnungstür hinter sich zu und rief: »Peggys Mutter kommt sie abholen!«
    Susann und ich liefen aus der Küche, in der wir gerade Kaffee tranken, in den Flur und riefen »Was?!« und »Oh, mein Gott!«.
    Susann wählte sofort Jörns Nummer. »Stimmt das, Jörn? Peggy kommt zurück zu ihrer Mutter?«, fragte sie, ohne sich um irgendeine Begrüßungsformel zu scheren.
    »Nein«, sagte Jörn. »Ihre Mutter kommt sie nur besuchen.«
    »Oh«, sagte Susann.
    »Es geht ihr anscheinend besser«, erklärte Jörn. »Sie nimmt Antidepressiva und hat Therapien gemacht, und ihr letzter Selbstmordversuch liegt schon ein Jahr zurück. Die Behörde möchte, dass Peggy und ihre Mutter wieder Kontakt haben.«
    »Also ein paar Stunden nur, unter Aufsicht?«, hakte Susann nach.
    »Ja«, bestätigte Jörn. »Und vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Peggy fragt immer mal wieder nach ihrer Mutter. Und ich weiß nie so recht, was ich sagen soll.« Er klang plötzlich müde und frustriert. »Es ist nur ein Besuch. Und ich wusste ja von Anfang an, dass der Tag kommen könnte, an dem … Sie ist ja nicht adoptiert, sie ist nur …« Seine Stimme brach.
    »Aber sie geben ihr das Kind doch nicht zurück, wenn sie …?«, hob Susann an.
    »Primäres Ziel ist die Wiederzusammenführung von Kind und leiblichen Eltern, sofern die körperliche und seelische Gesundheit des Schutzbefohlenen nicht in Frage steht«, zitierte Jörn ein offenbar behördliches Statement.
    »Wann?«, fragte Susann.
    »Mittwoch«, antwortete Jörn. »Sie holt sie nachmittags ab, sie gehen

Weitere Kostenlose Bücher