Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
sollte, schritt Peggy stumm und tieftraurig neben den beiden Frauen her. Nicht einmal die Tiere in den Gehegen, die ihr sonst immer verlässlich ein Glänzen in die Augen zauberten, konnten sie trösten.
Warum mag meine Mutter mich nicht?, fragte sich Peggy die ganze Zeit. So wie andere Mütter ihre Töchter mögen? So wie Susann Nele mag. Bin ich schlechter als Nele? Bin ich schlechter als andere Mädchen? Peggy erinnerte sich an Sven, der immer irgendetwas von ihr erwartet hatte, was sie nicht begriff. Lach doch mal!, hatte Sven gesagt. Doch Peggy war nicht nach Lachen zumute. Sie konnte diese Frau, die nicht ihre Mutter sein wollte, nicht anlachen. War sie denn wirklich so schlecht, so wie sie war?
Die beiden Frauen und das Kind gingen in das Schnellrestaurant des Zoos. Frau Zertl kaufte am Tresen Pizza und Pommes. Peggy saß mit ihrer Mutter allein am Tisch. Die Frau schaute sich nervös um, als würde sie etwas suchen oder jemanden erwarten.
Peggy nahm all ihren Mut zusammen und sagte: »Ich bin oft im Zoo. Mit Jörn. Ich mag Tiere. Magst du auch Tiere?«
Die Frau schaute Peggy erstaunt an, als wäre das eine total absurde Frage. »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Ihr Auge zuckte. »Tiere fressen immer nur. Das ist alles, worum es bei denen geht: fressen, fressen, fressen.«
»Hattest du …«, flüsterte Peggy, »… kein Tier? Als du ein Kind warst?«
Frau Lossberg überlegte. Dann stand sie plötzlich auf und sagte: »Ich muss gehen. Das ist falsch. Das ist alles falsch hier. Ich kenne dich nicht. Das ist falsch. Auf Wiedersehen. Es tut mir leid. Ich …«
Frau Zertl, die gerade das Essen bezahlte, bemerkte nicht, wie Peggys Mutter das Schnellrestaurant verließ. Als sie kurz darauf an den Tisch kam und Peggy fragte, wo ihre Mutter sei, flüsterte Peggy nur: »Weg.«
»Wie, weg?«, rief Frau Zertl und schaute sich hektisch um.
»Sie hat gesagt, es ist falsch. Ich bin falsch. Und sie muss weg«, flüsterte Peggy und begann zu weinen.
Frau Zertl nahm Peggy in den Arm und versuchte sie zu beruhigen, während sie gleichzeitig ihr Handy aus der Tasche zog und die Polizei anrief. Die sollten Frau Lossberg suchen. In ihrem verwirrten Zustand würde sie womöglich nicht in die Klinik zurückfinden.
»Wie konnten Sie dem Kind so etwas antun?!«, rief Jörn ins Telefon, nachdem Frau Zertl ihren Bericht beendet hatte. Er war fassungslos und wütend. Den Gedanken daran, was Peggy in diesen Stunden im Zoo erlebt hatte, was da in ihr vorgegangen sein musste, ertrug er kaum. Diese Bürokraten hatten ihr kleines Herz gebrochen! »Diese Frau war noch nicht so weit!«, rief Jörn.
»Ja, jetzt wissen wir das auch, vielen Dank«, zischte Frau Zertl schnippisch. »Aber als ich sie letzte Woche getroffen habe, da war ich überrascht, wie stabil sie war. Ich hatte sie mir schlimmer vorgestellt. In den Akten …«
»In den Akten?! Letzte Woche? Sie haben diese Frau nur ein einziges Mal gesprochen, bevor Sie sie auf das arme Kind losgelassen haben?!«, rief Jörn.
»Haben Sie eine Ahnung, wie überlastet wir hier sind?«, keifte Frau Zertl. »Und die Gutachten … die meisten Gutachten fanden …«
»Sie können Kinder doch nicht wie Versuchskaninchen solchen Situationen aussetzen! Das muss doch wohlüberlegt sein, so was! Sie müssen doch überdenken, was Sie tun! Sie müssen sich sicher sein!« Jörn war entsetzt.
»Nun«, sagte Frau Zertl. »Frau Lossmann ist wieder in der Geschlossenen. Sie glaubt, dass wir ihr ein falsches Kind andrehen wollten. Offenbar ist ihr Zustand tatsächlich schlimmer, als wir … als die Ärzte dachten.«
»Ach, tatsächlich«, rief Jörn sarkastisch.
»Es tut mir leid für Peggy«, sagte Frau Zertl. Vermutlich meinte sie es ernst, aber es fiel ihr hörbar schwer, es Jörn gegenüber einzugestehen. »Ich glaube, es wird sehr lange dauern, bis Peggy wieder Kontakt zu ihrer Mutter haben wird«, sagte Frau Zertl.
»Das will ich hoffen!«, sagte Jörn und legte auf.
Er ließ sich auf das Sofa fallen und atmete schwer aus. Was für ein Alptraum!
Immerhin, dachte Jörn, Peggys Mutter ist ein Wrack. Die ist komplett im Arsch. Und auch wenn Jörn sich dafür schämte, verspürte er dennoch eine gewisse Freude. Denn wenn es dieser Frau so dermaßen dreckig ging, dann war das gut für Peggy und ihn. Dann würde er Peggy behalten können.
Doch das sollte sich schon bald als Irrtum erweisen.
* * *
In den folgenden Wochen gab Jörn sein Bestes, die verstörte Peggy zu beruhigen.
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