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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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das von seinem Vater sexuell missbraucht wurde, und Anita es war, die dieses Kind erfunden hatte, vermute ich, dass ihr selbst ein ähnliches Schicksal widerfahren war. Ich weiß es natürlich nicht, und ich werde sie nie fragen, aber ganz abwegig ist die Annahme nicht. Und Adze, dieses herzige Riesenbaby, könnte durchaus die Sorte Mensch sein, die lieber schmust als kopuliert. Und selbst wenn nicht, er würde niemals einen anderen Menschen – schon gar nicht jemanden, den er liebt – zu etwas zwingen oder ihn auch nur zu etwas überreden. Das heißt … nein. Doch. Überreden schon. Zumindest indirekt. Adze mochte es nämlich nicht, wenn Anita zu viel trank. Immer, wenn sie es übertrieb, schaute er so unglücklich dackelblickmäßig drein, strich ihr kopfschüttelnd über die Wange und kochte ihr demonstrativ einen Kaffee, dass sie im Laufe der Zeit tatsächlich immer weniger Alkohol trank. Was freilich nichts an der Tatsache änderte, dass sie auch nüchtern immer noch irgendwie beschwipst wirkte.
    Die beiden waren und sind einfach ein verrücktes kleines Wunder. Zwei verspielte Träumer, die einander Geschichten erzählen, herumalbern und ständig kichern.
    Ein paar Wochen lang hatten sie gemeinsam in Lucys und Florians WG in Adzes Zimmer gewohnt. Doch irgendwann waren sogar Petras und Dilles sonst so duldsame und tolerante Kinder von den beiden erschöpft gewesen. Erst hatten sie vorsichtige Andeutungen gemacht, dass es doch schön sein müsste, ein wenig Privatsphäre zu haben und mehr Raum als nur ein kleines gemeinsames Zimmer, doch selbst der offenkundigste Subtext funktionierte bei Anita und Adze nicht. Also nahm Lucy eines Tages all ihren Mut zusammen und bat die beiden ganz direkt, auszuziehen.
    »Wir haben Klausuren und müssen uns konzentrieren und brauchen echt unsere Ruhe«, behauptete Lucy, die in Wirklichkeit gerade ihr Studium geschmissen hatte.
    Anita und Adze schauten einander an, nickten und sagten: »Klar. Kein Problem.«
    Anita hatte einen Putzjob in Hamburg gefunden, und Adze bekam regelmäßig ein wenig Geld von seiner Familie, so dass sie sich eine kleine Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus in Hamburg-Billstedt mieten konnten.
    Gleich am ersten Tag sagte Anita zu Adze: »So! Das ist jetzt unsere Welt!«, und pinselte auf die Außenseite der Wohnungstür einen riesigen, knallbunten Globus.
    Drei Tage später bekamen sie vom Vermieter einen Brief, in dem sie aufgefordert wurden, die »Schmiererei« unverzüglich zu entfernen. Anita und Adze weigerten sich, und so kam ein weiterer Brief, in dem stand, dass demnächst ein Malermeister kommen und die Wohnungstür auf Anitas und Adzes Kosten neu streichen werde.
    Anita und Adze waren empört. Das ging doch nicht! Das war doch ihre Wohnungstür und nicht die vom Vermieter! Sie campierten von da an mit Schlafsäcken im Treppenhaus und verteidigten ihr Gemälde gegen die Leute von der Malerfirma, die eines Tages auftauchten, eine Weile ratlos herumstanden, Anitas und Adzes Wortschwall auf sich einprasseln ließen und dann wieder verschwanden.
    Ich hatte meinen Kumpel Arne bei der Morgenpost angerufen und ihm von dem Fall erzählt, weil Arne eine kuriose Geschichte ja immer zu schätzen wusste. Er tauchte am »Tatort« auf, interviewte die beiden Hausflurbesetzer, machte ein Foto, wie sie strahlend vor der Weltkugel auf der Tür saßen, und am nächsten Tag erschien ein kleiner Artikel auf Seite neun mit der Überschrift Zwei Träumer retten die Welt.
    Der Globus ziert noch heute die Tür.
    * * *
    Lucy und Florian fanden schon bald einen neuen Mitbewohner. Das heißt, na ja … eigentlich war es kein Mitbewohner im klassischen Sinne. Und eigentlich war es auch nur Lucys Mitbewohner. Er hieß Dennis. Lucy hatte ihn bei der großen G-8-Demonstration in Heiligendamm kennengelernt. Dennis war Polizist. Genau genommen war er der Polizist, der Lucy bei der Sitzblockade vor dem Zaun, der das Tagungshotel vom protestierenden Volk trennte, weggetragen hatte.
    Sehr zaghaft, fast schüchtern hatte er sie angefasst, hochgehoben und höflich gefragt: »Geht’s?«
    Lucy hatte gelacht und gesagt: »Sobald du mich loslässt, setze ich mich da sowieso gleich wieder hin.«
    »Wer würde so ein tolles Mädchen wie dich schon freiwillig wieder loslassen?«, hatte Dennis gesagt, und die wilde Lucy war tatsächlich rot geworden. Vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben.
    Es war Liebe auf den ersten Blick.
    Lucy und Dennis zogen ein paar Wochen später gemeinsam in das

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