Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Und langsam, aber sicher kam sie wieder aus ihrem Schneckenhaus gekrochen. Obwohl ihr ohne Zweifel ein Leben lang seelische Narben von diesem Erlebnis bleiben würden. Ich war stolz auf unsere Nele, die sich rührend um Peggy sorgte und offenbar besser wusste, was zu tun und zu sagen war, als wir Erwachsenen. Peggy liebte Nele innig und rief oft bei uns an, um mit ihrer zaghaften, flüsternden Stimme nach unserer Tochter zu verlangen. Nele zog sich dann in ihr Zimmer zurück und führte lange Gespräche mit ihrer kleinen Freundin. Dabei dudelten auf ihrer Anlage ununterbrochen Songs von Rosenstolz, Duffy und Pink. Nele liebt singende Frauen.
Eines Tages, als die beiden Kinder wieder miteinander sprachen, landete eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Der Akku unseres zweiten Telefons war leer, und so bekam ich gar nicht mit, dass jemand versucht hatte, mich zu erreichen.
Erst Stunden später hörte ich die freundliche Frauenstimme auf dem AB. Es war eine sogenannte »Producerin« namens Susanne Löblich, die mir verkündete, dass es einen Drehtermin für meinen Film gebe. In einem Monat gehe es los.
Mein Film?
Ich hatte schon fast vergessen, dass eine Produktionsfirma die Rechte an meinem Tod in der Vorstandsetage -Roman optioniert hatte. Das war eine Ewigkeit her, und ich hatte keine Ahnung, dass die Dinge bei Film und Fernsehen so unfassbar lange dauern. Ich dachte, die Sache hätte sich längst erledigt. Obwohl: Auf der letzten Abrechnung des Verlags hatte irgendetwas von »Optionsausübung« gestanden, und ich hatte eigentlich immer mal nachfragen wollen, was das genau bedeutete, hatte es dann aber vergessen. Offenbar hieß es, dass die Sache ernst wurde.
Ich war natürlich begeistert und rief Frau Löblich gleich zurück. Es handelte sich um eine reizende junge Frau, die klang, als wäre sie etwa zwölfeinhalb Jahre alt. Ich finde es sehr irritierend, berufliche Gespräche mit Menschen zu führen, die wie Kinder klingen.
Das Drehbuch, erklärte mir die Producerin, habe ein sehr erfahrener Autor geschrieben, der jahrelang am Autobahnrevier mitgearbeitet hat. Ich wusste nicht, was das Autobahnrevier ist. Ich sah selten fern.
»Und der Regisseur ist ein echtes Ass«, fuhr die Filmfrau fort. »Er hat dieses Jahr schon zwei Fernsehfilme für uns gedreht. Einer lief gerade letzte Woche: Der Kommissar am Fjord. Vielleicht haben Sie den ja gesehen?«
»Den hab ich leider verpasst«, sagte ich.
»Schade. Der hatte eine Superquote. Und kriegen Sie bitte keinen Schreck«, fuhr Frau Löblich fort, »aber wir haben ein paar Dinge an Ihrer Geschichte verändert. Das ist aber völlig normal, man kann so einen Roman einfach nicht eins zu eins umsetzen.«
»Das verstehe ich«, sagte ich artig, obwohl es mir nicht wirklich einleuchtete. Ich hätte mir mein Buch sehr wohl in einer vorlagentreuen Umsetzung vorstellen können.
»Der Taxifahrer in Ihrem Buch zum Beispiel …«, sagte Frau Löblich.
»Die Hauptfigur«, betonte ich.
»Ja«, sagte Frau Löblich. »Das ist jetzt eine Frau. Und sie fährt auch nicht mehr Taxi. Sie ist Fahrradkurier.«
»Oh.«
»Wir hatten großes Glück, dass Elena Holzberg gerade einen solchen Stoff suchte. Schon seit Jahren will sie in einem Krimi spielen. Bisher war sie ja eher auf dieser Beziehungskomödienschiene unterwegs. Und Elena ist ja nun wirklich ein Garant für Superquoten. Da haben wir uns überlegt, dass es für die Geschichte gar kein Problem ist, wenn es eine Heldin und kein Held ist.«
»Elena Holzberg? Ist das nicht diese … die immer in den Talkshows ist?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Frau Löblich. »Sie ist sehr präsent.«
»Ist die nicht mit diesem entsetzlichen Investmentbanker verheiratet?«, fragte ich.
»Äh …«, zögerte die Producerin. »Die beiden sind nicht verheiratet. Sie leben nur zusammen.«
»Das Schwein spekuliert auf Lebensmittel. Auf Getreide und Reis. Der Typ verdient Millionen damit, dass er Hungersnöte in Afrika fördert.«
»Davon verstehe ich nichts«, sagte Frau Löblich kleinlaut.
»Die Hauptfigur in meinem Film deckt eine widerwärtige Finanzschweinerei auf. Die kämpft gegen diese widerlichen Heuschrecken. Und jetzt besetzen Sie die Hauptrolle mit einer Frau, die mit genau so einem Schwein das Bett teilt!«
»Also …«, sagte Frau Löblich, deren Stimme nun nicht mehr so freundlich klang. »Elena Holzberg hatte, gerade weil sie sich in dieser Szene ein wenig auskennt, durchaus Anmerkungen zum Buch. Sie sagt, da sei einiges
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