Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
ziemlichen Anschiss von ihrem Boss bekommen.«
»Na ja«, sagte ich und trat erneut in ein Fettnäpfchen. »Ist doch eigentlich eine gute Nachricht. Jetzt kann Peggy ja kein Treffen mehr mit ihrer Mutter aufgedrückt bekommen.«
Susanns Blick war nun nicht mehr tadelnd, sondern schlicht empört.
Ich beschloss, fortan besser die Klappe zu halten.
»Wie hat Peggy reagiert?«, fragte Susann.
»Verwirrt«, sagte Jörn. »Denn genau genommen kennt sie ihre Mutter gar nicht. Sie ist für sie nur diese gruselige Frau, die sie einmal gesehen hat. Auf der anderen Seite ist sie aber eben ihre Mutter, und Peggy hat wahrscheinlich immer noch irgendwie gehofft, dass da eine Verbindung entstehen könnte. Und ich glaube, sie ist auch verzweifelt, weil sie nicht das fühlt, was sie fühlen sollte. Ich meine … ihre Mutter ist gestorben, aber sie war nie eine Mutter für sie, und trotzdem … Ach, ich weiß nicht. Peggy sagt ja nichts. Sie ist nur … traurig. Durcheinander. Ich weiß auch gar nicht, was ich … wie ich ihr …«
Ich schaute Jörn erstaunt an. So kannte ich ihn nicht. So hilflos, so verzweifelt. Sonst war er immer sehr pragmatisch, selbst in schlimmen Situationen immer noch ein Macher. Doch jetzt war er einfach nur ein Mensch, der Hilfe brauchte. Es rührte mich zutiefst, ihn so zu sehen, und ich nahm ihn wortlos in den Arm. Susann schaute mich erstaunt an, dann lächelte sie. Hin und wieder mache ich dann doch mal etwas richtig.
Wir redeten noch eine Weile. Jörn überlegte, ob er mit Peggy eine Psychologin aufsuchen sollte. Wir fanden beide, dass das eine gute Idee wäre. Das alles war zu groß und zu speziell, als dass man es ohne professionelle Hilfe durchstehen sollte.
Nele kam in die Küche. An der Hand hielt sie Peggy.
Nele sagte bestimmt: »Ich schlafe heute hier. Damit Peggy nicht allein ist.« Dann schaute sie Susann und mich an und sagte: »Ihr könnt ja morgen in der Schule anrufen und sagen, dass ich krank bin.«
Susann zuckte zusammen. Das passte ihr nicht. »Du hast morgen die Englischarbeit …«, hob sie an, doch ich unterbrach sie und sagte: »Klar, Nele. Gute Idee.«
Dann warf ich Susann einen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete. Das war nicht leicht, denn wie die meisten Männer hatte und habe ich vor meiner Frau ein bisschen Angst. Es kostete mich Überwindung und ein beträchtliches Maß an schauspielerischem Talent, den resoluten Kerl raushängen zu lassen.
Doch es funktionierte, denn Susann sagte zu Nele: »Ja, Schätzchen. Okay. Ich bring dir nachher deine Zahnbürste und Bettwäsche …«
»Hab ich alles hier«, sagte Jörn.
»Okay«, nickte Susann.
Sie schaute mich an und sah irgendwie zufrieden mit mir aus. Ich werde das nie verstehen. Meine Frau liebt es, die Kontrolle zu haben, bestimmt mit fast schon beängstigender Selbstverständlichkeit, was zu tun ist, und degradiert mich gern mal zum bloßen Befehlsempfänger. Aber wenn mir etwas dann doch mal zu wichtig ist, als dass ich es ihr einfach so überlassen wollte, wenn ich dann aufmucke, das Kreuz breit mache und mich gegen sie durchsetze, dann gefällt ihr das seltsamerweise. Sie hat es ganz gern, wenn ich hin und wieder stärker bin als sie.
Frauen sind seltsam.
Dank meiner Intervention blieb Nele also bei Peggy. Und das war gut. Offenbar redeten die Kinder bis spät in die Nacht. Nele behauptet, Peggy redete sehr viel, wenn sie mit ihr allein war. Als ich Nele am nächsten Tag abholte und mit ihr eine Pizza essen ging, fragte ich sie, ob Peggy sehr traurig sei.
Nele nickte. »Ja, klar.« Dann legte sie ihre Hand auf meinen Arm und sagte altklug, aber trotzdem herrlich beruhigend: »Aber sie kommt drüber weg. Sie hat ja Jörn. Jörn ist toll.«
Hab ich schon mal erwähnt, wie stolz ich auf meine Nele bin?
Als wir nachmittags nach Hause kamen, klingelte das Telefon. Ich ging ran, und eine aufgeregte, ja nahezu euphorische Frau Löblich überfiel mich mit einem Wortschwall.
»Herr Lehmann!«, rief die Producerin mit ihrer kindlichen Quietschstimme, »gute Nachrichten! Ihr Film …«
Ich wollte sie unterbrechen und ihr mitteilen, dass das, was da gestern gesendet worden war, ganz sicher nicht mein Film war, kam aber nicht zu Wort.
»… hatte eine gigantische Einschaltquote! Wir haben sogar die Castingshow geknackt. Wahnsinn, oder? Hier sind die Sektkorken geflogen. Totale Begeisterung. Und dann rief Elena Holzberg an und …«
Mir klingelten die Ohren von dem hochfrequenten Redeschwall.
»… Also,
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