Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
nicht richtig recherchiert.«
»Was?!«
»Sie hat einige Änderungen vorgeschlagen, die uns gut gefallen haben. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt jetzt mehr auf dem Mord an der Sekretärin. Diese Eifersuchtsgeschichte.«
»Aber das ist doch nur Beiwerk! Ein Ablenkungsmanöver, um den Leser auf eine falsche Fährte zu führen!«
»Nun, Frau Holzberg und wir fanden diesen Handlungsstrang sehr stark und haben ihn ausgebaut. Und diese ganzen Finanzsachen … das war schon sehr kompliziert. Das haben wir deutlich entzerrt.«
Ich war fassungslos und sagte gar nichts mehr.
»Herr Lehmann?«
»Ja.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, das wird ein Superfilm.«
»Haben Sie den Handlungsstrang mit dem Ministerpräsidenten noch drin?«, fragte ich und ahnte bereits, dass mir die Antwort nicht gefallen würde.
»Zu kompliziert«, sagte Frau Löblich. »Der Banker handelt jetzt allein. Er stolpert da auch eher so versehentlich rein, und der erste Mord war gar nicht geplant …«
Ich hatte eine Geschichte über ein soziopathisches, geldgeiles Monstrum geschrieben, das von der hohen Politik gefördert und gedeckt wird – und diese Filmleute machten nun einen tollpatschigen Einzeltäter draus, der nur versehentlich zum Mörder wird? Und der abgebrühte Taxifahrer meines Romans sollte jetzt so eine Gucci-Taschen-Tussi sein? Dazu fiel mir nichts mehr ein. Außer, dass ich wenigstens gutes Geld für meine Romanrechte bekommen würde. So viel Kapitalismus musste sein.
»Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen das Drehbuch«, bot Frau Löblich an. »Aber ich muss gleich sagen, dass Sie vertraglich keinerlei Vetorecht haben und das Drehbuch so auch schon abgesegnet ist.«
»Nee«, murmelte ich. »Lassen Sie mal.«
»Sie wollen das Drehbuch nicht lesen?«, wunderte sich die Producerin. »Normalerweise sind Romanautoren immer sehr …«
»Ich muss los, Lidl macht gleich zu«, sagte ich und legte auf.
Ich stand unter Schock. Das war sie also, die wunderbare Welt des Films.
2010
M ein« Film wurde an einem Montagabend auf einem der Privatkanäle ausgestrahlt. Sat.1, RTL, ProSieben? Einer von denen. Susann hatte vorgeschlagen, dass wir die ganze Bande zu uns einladen und uns mein »Filmdebüt« gemeinsam anschauen sollten.
»Das wäre doch ein schöner Anlass, mal wieder alle zusammenzubringen«, hatte sie gesagt.
Ich erinnerte mich schmerzhaft an das Gespräch mit der Producerin und sagte: »Ich fürchte, es wird alles andere als schön. Ich will das lieber allein mit dir durchleiden.«
»Und mit mir!«, rief Nele, die gerade ins Zimmer trat. »Ich will auch gucken.«
»Klar«, sagte ich. »Und die Bande trommeln wir auch mal wieder zusammen. Zu einem erfreulicheren Anlass. Schon bald. Sie fehlen mir.«
»Mir auch«, nickte Susann.
Um Viertel nach acht saßen wir also zu dritt auf dem Sofa. Susann hatte eine Flasche Champagner aufgemacht, obwohl ich mehrfach betont hatte, dass es vermutlich keinen Grund zum Feiern gäbe. Nele trank einen Smoothie, die 2010 plötzlich in Mode und in die Kühlregale der Supermärkte kamen.
Der Film begann, und die ersten drei Minuten erkannte ich schlicht und ergreifend rein gar nichts wieder. Statt eines bärbeißigen Taxifahrers wurde mir und den hoffentlich nicht allzu zahlreichen Zuschauern eine alleinerziehende Kurierfahrerin als Heldin serviert, die in ihren engen Radlerhosen außerordentlich attraktiv aussah. Ich vermute, der Regisseur hat seine Hauptdarstellerin nur deshalb zur Fahrradkurierin gemacht, damit er ihre langen Beine in hautengem Outfit präsentieren konnte. So ansprechend Elena Holzbergs Beine waren, so dürftig war allerdings ihr schauspielerisches Talent. Sie grimassierte sich durch einen Plot, den ich nur notdürftig mit dem in Einklang bringen konnte, was in meinem Kriminalroman stand. Jede Kritik am skrupellosen Finanzmanagement und an den politischen Verstrickungen war getilgt worden, dafür sah man Frau Holzberg einmal duschen und sehr oft sehr niedlich mit ihrer kleinen süßen Tochter spielen, die allerlei vermeintlich drollige Sprüche draufhatte. Hin und wieder sagte Frau Holzberg ohne jede Überzeugungskraft abgenudelte Sätze wie: »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde diesen Mistkerl zur Strecke bringen!«
»Oh Gott«, stöhnte ich. »2010 ist das offizielle Jahr der Stille. Warum kann sich das diese Trulla nicht zu Herzen nehmen?«
In der dreißigsten Minute wurde dann die Sekretärin ermordet. Und mit ihr endete auch meine
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