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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Leidensfähigkeit. Wenn die Tippse davon erlöst wurde, diesen Quark länger miterleben zu müssen, dann wollte ich auch nicht mehr. Ich griff zur Fernbedienung und schaltete um. »Ich ertrag das nicht!«, sagte ich.
    Irgendein Werbespot auf irgendeinem anderen Sender erschien.
    »Ach, komm«, sagte Susann halbherzig, »sooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
    Ich schaute Susann an, als wäre sie geisteskrank.
    Sie lachte verlegen. »Okay. Ja. Es ist ziemlich …«
    In diesem Moment rief Nele laut und aufgeregt: »Oh, mein Gott! Schaut! Da!«
    Wir blickten auf den Bildschirm, auf den Nele fassungslos starrte, und trauten unseren Augen kaum: Da war Jegor! Der satanische, milchbübige, arme, böse, traurige Jegor. Er war groß geworden, kantiger. Doch er sah immer noch verloren aus. Er stand in einem Studio und starrte mit seinen blassen Augen trotzig drei Leute an, die ihm gegenüber an einem Tisch saßen: eine viel zu stark geschminkte junge Frau mit offenkundig falschen Zähnen und Brüsten, einen Lackaffen, der sich vermutlich jeden Morgen im Badezimmerspiegel selbst zuzwinkerte, und einen Moderator, der wie eine Karikatur auf Dieter Bohlen wirkte. Oder war es der echte Bohlen? Keine Ahnung.
    »Na, dann lass mal hören«, näselte der Vielleicht-Bohlen.
    Jegor begann zu singen. Und wie er zu singen begann! Es war atemberaubend. Er sang auf Russisch, eine Ballade, vielleicht ein Volkslied. Doch er sang es mit solch einer Inbrunst, mit solch einer Traurigkeit, mit so viel Seele, dass wir alle drei regelrecht die Luft anhielten. Keiner sagte etwas, bis Jegor fertig war.
    »Supi!«, quietschte die lebende Barbiepuppe.
    »Respekt«, sagte der Schönling.
    »Na«, näselte der Moderator, »ist ja nicht so meine Musik, dieses Kosakengeknödel, aber deine Stimme, Alter, echt. Nicht schlecht. Meinste denn, du kannst auch richtige Musik. Pop und so?«
    Jegor starrte den Moderator kühl an. Dann nickte er stumm.
    »Ja, Alter, dann sehen wir uns bald wieder, ne?«, sagte der Moderator.
    »Recall!«, quiekte eine Stimme aus dem Off, und irgendwelche schnell geschnittenen Szenen und Bilder, die für mich keinen Sinn ergaben, zuckten über den Bildschirm. Und dann war Jegor auch schon wieder verschwunden, und eine junge Frau, die aussah wie der Klon der Jury-Barbie, trippelte zum Vorsingen vor die Troika des Grauens.
    Nele schaltete den Fernseher aus. »Wow«, sagte sie. »Hammer!«
    »Was für eine wunderschöne Stimme«, sagte Susann. »Wer hätte das gedacht.«
    Und gerade als ich vorschlagen wollte, im Internet mal nachzuschauen, ob da irgendetwas über Jegor stand, wo er lebte, was er so machte, klingelte das Telefon.
    »Da hat wohl noch jemand Jegor gesehen«, lachte Susann. Sie nahm das Telefon und meldete sich.
    Es war Jörn. »Susann?«, sagte er mit gepresster Stimme. »Ich brauche dich. Kannst du kommen?«
    »Natürlich! Was ist denn?«, antwortete Susann.
    Jörn zögerte. Dann sagte er: »Peggys Mutter ist tot.«
    * * *
    Wir fuhren alle drei zu Jörn und Peggy. Jörn öffnete die Tür. Er sah erschöpft aus.
    »Peggy ist in ihrem Zimmer. Sie will nicht reden«, sagte er.
    Nele ging einfach an Jörn vorbei zu Peggys Zimmertür, öffnete sie und trat ein. Sie schloss die Tür wieder hinter sich. Sie würde Peggy trösten. Es war gut, dass sie mitgekommen war.
    Susann und ich folgten Jörn in die Küche, wo er Kaffee machte.
    »Also? Was ist mit Peggys Mutter passiert?«, fragte Susann.
    »Sie wurde überfahren«, antwortete Jörn. »Sie ist einfach auf eine Kreuzung gelaufen, ohne zu gucken.«
    »Ich dachte, sie ist in der Klapse«, wunderte ich mich.
    Susann warf mir einen tadelnden Blick zu.
    »… in der Psychiatrie«, korrigierte ich meine Respektlosigkeit artig.
    Jörn schüttelte den Kopf. »Sie hat seit einigen Monaten wieder allein gelebt. Sie hat Medikamente genommen, Psychopharmaka, die angeblich gut ansprangen. Frau Zertl – die Frau vom Jugendamt – wollte sogar schon einen neuen Termin mit Peggy organisieren.«
    »Was?!«, riefen Susann und ich gleichzeitig.
    »Ja«, sagte Jörn. »Die Zertl meinte, Peggys Mutter sei jetzt so weit. Ich hab natürlich protestiert, aber diese arrogante Kuh hat das einfach so weggewischt, und da hab ich ihrem Vorgesetzten einen Brief geschrieben, einen ausführlichen Bericht über ihre Versäumnisse und was im Zoo passiert ist und wie sehr Peggy darunter immer noch leidet und … tja, seitdem stehe ich ganz oben auf Frau Zertls Shitlist. Offenbar hat sie einen

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