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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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hatten sie nur ein paar Kleider, etwas Proviant und zwei Decken mitgenommen. Alles andere war zurückgeblieben, zusammen mit ihrer Vergangenheit, den Spottversen, Bevormundungen und heimlichen Treffen, bei denen sie jede Sekunde damit rechnen mussten, entdeckt zu werden.
    Auf dem Lech waren sie zunächst über Augsburg Richtung Donauwörth gereist und dann die Donau entlang, auf einem Floß, das Tücher und Salz zum Schwarzen Meer brachte. Im Vorüberfahren hatten sie die Universitätsstadt Ingolstadt gesehen, wo Simon einst studiert hatte, das Städtchen Vohburg und schließlich die berüchtigte Weltenburger Enge, in der das Floß wie ein Blatt durch die Strudel getrieben worden war. Das ständige Dahingleiten und die wechselnden Landschaften, die an ihnen vorüberzogen, gaben Magdalena ein Gefühl von Freiheit, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte.
    Endlich fort von zu Hause …
    Ein dunkler Schleier zog sich über ihr Gesicht, als sie an ihre Mutter und die Geschwister dachte. Sie hatte den schlafenden Zwillingen noch einen Kuss auf die Wangen gehaucht,bevor sie die Tür ein letztes Mal hinter sich schloss. Der Brief an ihre Mutter war kurz und feucht von Tränen gewesen, doch niemals in ihrem Leben hatte Magdalena so deutlich gespürt, dass sie das Richtige tat. Wäre sie geblieben, dann wäre das Treiben sicher weitergegangen. Irgendwann hätten ein paar Eiferer das Haus tatsächlich angezündet, zu tief saßen die Vorurteile der Schongauer. Der Bäckermeister Berchtholdt würde dafür sorgen, dass sie nie ganz verschwinden würden.
    Magdalena hoffte nur, dass ihre Mutter das genauso sah.
    Am Ende war es nicht mehr um die Frage gegangen, ob sie überhaupt verschwinden sollten, sondern nur noch darum, wohin ihre Reise sie führen würde. Letztendlich hatte dann Magdalenas Tante den Ausschlag gegeben. Die Henkerstochter bewunderte Lisbeth Kuisl für ihren Mut, alles hinter sich zu lassen. Genauso stark wollte sie auch sein! Sollte ihre kranke Tante noch am Leben sein, würde sie Magdalena bestimmt verstehen. Sie würde einfach abwarten, bis ihr vernagelter Vater wieder abgereist war, und bei Lisbeth anklopfen. Ihre Tante würde die Tür aufmachen, sie in die Arme schließen, und Simon würde bei Andreas Hofmann eine Stelle als Badergeselle bekommen. Er könnte die Badegäste zur Ader lassen und ihre kleinen Wehwehchen kurieren. Ein Anfang wäre gemacht, und wer weiß, vielleicht würde Simon mit der Zeit zum Regensburger Wundarzt aufsteigen. Ein neues Leben würde beginnen, ein Leben, in dem keiner wusste, dass sie eine Henkerstochter war.
    Und wenn ihre Tante schon nicht mehr lebte? Gestorben an einer Geschwulst, bei der selbst Magdalenas Vater machtlos gewesen war?
    Mit einem Kopfschütteln vertrieb Magdalena die bösen Gedanken.Sie wollte den Augenblick genießen, die Zukunft kannte nur der liebe Herrgott.
    »Wir sind da! Magdalena, wir sind da!«
    Simons Rufe rissen sie aus ihren Grübeleien. Sie richtete sich auf und sah hinter der nächsten Flussbiegung Regensburg auftauchen. Eine Silhouette von Häusern, Brücken und Kirchen, die in der Nachmittagssonne glitzerte. Die trutzige Stadtmauer begann an der Donau und reichte mit ihren Schanzanlagen und Vorbauten bis weit in die Felder auf der südlichen Seite des Flusses. Weiter hinten ragte der Dom auf, das Wahrzeichen der Stadt. Wie zur Begrüßung hallten dröhnende Glockenschläge zu ihnen herüber.
    Mit lautem Geschrei machten sich die Flößer bereit für das Landemanöver. Taue wurden geworfen, Befehle gebellt. Rechts unterhalb der Stadtmauer befand sich ein Flusshafen, dessen Ausmaße Magdalena nicht für möglich gehalten hätte. Wohl fast eine halbe Meile lang zogen sich die Molen und Stege, überall dümpelten vertäute Kähne und Flöße. Männer liefen eilig herum, schleppten Fässer und Kisten und verschwanden damit in den Lagerschuppen, die an die Stadtmauer angrenzten. Weiter hinten spannte sich eine gewaltige steinerne Brücke über die Donau und verband die freie Reichsstadt mit dem Kurfürstentum Bayern. Auf der bayerischen Seite bemerkte Magdalena verkohlte Ruinen aus der Zeit des Großen Krieges, und auch die Vororte Regensburgs auf der Südseite waren offenbar gebrandschatzt worden.
    Mit einem Rumpeln legte das Floß an einer der vielen hölzernen Molen an. Simon und Magdalena schulterten ihre Säcke und Taschen, warfen den Flößern noch einen letzten Gruß zu und reihten sich ein in die Flut von Tagelöhnern und Reisenden, die dem

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