Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
einmal im Krieg?«
Jakob schüttelt den Kopf und schweigt.
»Der Krieg ist eine blutige Sach. Viel Ehr, viele Tote. Geht zu wie beim Schlachter. Kannst du denn Tote sehen, hm? Aufgeschnittene Leiber, heruntergehauene Schädel, na?«
Jakob schweigt.
»Sei’s drum«, sagt der Offizier und seufzt. »Wir können einen Trossbuben gut brauchen. Vielleicht hast ja das Zeug zum Trommler. Oder …«
»Ich will zur Infanterie, Euer Ehren.«
»Wie meinen?«
»Ich will kämpfen, mit dem Bihänder.«
Der Offizier stutzt, dann zieht sich ein breites Grinsen über sein Gesicht. Er beginnt zu prusten, dann immer lauter zu lachen. Schließlich wendet er sich an seine Kameraden hinter ihm.
»Habt ihr das gehört?«, ruft er. »Der Hänfling will den Bihänder. Hat noch keinen Bauern in den Arsch gepiekst und will den Bihänder!«
Die Menge grölt, einige der Pfeifer hören auf zu spielen und zeigen mit dem Finger auf den pickligen, grobschlächtigen Jungen, dessen Hemd und Hose viel zu klein sind für den unförmigen Körper. Jakob wächst zu schnell, die Mutter sagt, bald könne er ganz Schongau auf den Kopf spucken. Doch Schongau ist weit weg.
Jetzt holt der Knabe, der schon fast ein Mann ist, ein schmutziges Leinenbündel hervor. Lang und schmal ist das Bündel, Jakob legt es vorsichtig auf den Tisch, als wäre darin das kaiserliche Szepter verborgen. Langsam wickelt er es auf, bis ein Schwert zum Vorschein kommt.
Es reicht dem Jungen bis zur Brust, ein Schwert mit kurzer Parierstange, ohne Spitze. Die Klinge funkelt frisch geschliffen in der Sonne.
Das Johlen der Menge verstummt, aller Augen ruhen auf der Waffe. Nur noch vereinzelt ist Gemurmel zu hören. Schließlich beugt sich der Offizier über das Breitschwert und fährt mit dem Finger über die Blutrinne.
»Bei Gott, ein leibhaftiges Richtschwert«, flüstert er. »Wo hast du das her? Gestohlen?«
Der Junge schüttelt den Kopf.
»Es war das Schwert meines Vaters, meines Großvaters und meines Urgroßvaters.«
Jakob Kuisl wickelt die Waffe sorgfältig wieder in das schmutzige, mit Blutflecken übersäte Leinentuch. Seine Worte klingen seltsam andächtig, sie scheinen nicht zu passen zu einem fünfzehnjährigen rotznasigen Dorfbuben, der in den Krieg ziehen will.
»Der Vater ist tot. Jetzt gehört das Schwert mir.«
Dann schreitet der Sohn des Henkers die Reihen der schweigenden Infanteristen ab, bis er das sogenannte Joch erreicht. Ein waagrecht in der Luft hängender Langspieß auf zwei in den Boden gerammten Hellebarden – ein altes Landserritual.
Wer hier durchgeht, der gehört dem Krieg.
In seiner Zelle im Regensburger Rathaus lag Jakob Kuisl noch immer auf dem Boden und starrte auf die Schrift an der Wand.
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod …
Schließlich stand er auf, griff nach einem am Boden liegenden Kiesel und begann die Liedzeile wegzukratzen.
Buchstabe für Buchstabe.
Zur gleichen Zeit war Magdalena so weit entfernt von zu Hause wie noch nie zuvor.
Wohlig streckte sie sich auf den harten Baumstämmen des Floßes und blickte hinauf zu den Wolken, die wie weiße Drachen über den Himmel zogen. Zum ersten Mal seit langem war sie glücklich. Sie hörte das Wasser rhythmisch gegen die Bohlen schlagen, die Rufe der Flößer tönten seltsam fern, nur das Summen aus Simons Mund schien wirklich. Der Medicus lehnte an einem Weinfass neben ihr und sah verträumt hinüber zum vorbeiziehenden Ufer. Sein Gesicht war von den Schlägen der Berchtholdt-Brüder noch immer blau verfärbt, aber wenigstens konnte er wieder die Augen öffnen. Gelegentlich spuckte er in einem weiten Bogen Kirschkerne ins Wasser. Dabei traf er versehentlich den Steuermann, der spielerisch mit dem Finger drohte.
»Wenn ihr so weitermacht’s, werf ich euch beide noch in die Donau. Dann könnt ihr meinethalben nach Regensburgschwimmen.« Der Flößer schüttelte den Kopf. »Kinder und Verliebte haben auf dem Fluss nichts verloren, hier wird gearbeitet.« Er grinste schon wieder, vermutlich fiel ihm gerade ein, wie er seine eigene Frau kennengelernt hatte.
Magdalena nahm sich eine Kirsche und ließ das weiche, saftige Fruchtfleisch auf ihrem Gaumen zergehen. Schongau war so weit weg! Eine knappe Woche war es nun her, dass sie mitten in der Nacht zur Floßlände gelaufen waren, jeder nur mit einem Sack und einer Tasche beladen. Der größte Ballast waren Simons medizinische Instrumente und einige Bücher gewesen, von denen er sich partout nicht trennen wollte. Ansonsten
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