Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Stadttor am Ende der Steinernen Brücke zustrebten. Die Luft war erfüllt von vielerleiGerüchen, nach Gewürzen, brackigem Flusswasser, Fisch und brutzelndem Fett. Magdalena spürte, dass sie Hunger hatte, seit heute früh hatten sie beide nur noch Kirschen gegessen. Sie zog Simon zu einer kleinen Garküche hinter der Brücke, vor der Tische und Bänke aufgebockt waren. Für ein paar Kreuzer erstanden sie einige nach Rauch schmeckende, fetttriefende Würste und einen kleinen Laib Brot, sie setzten sich auf eine Mole und ließen die Beine über den Rand baumeln.
»Und nun?«, fragte Simon und wischte sich das Fett von den Lippen. »Was hast du vor?«
»Was haben wir vor, meinst du«, korrigierte ihn Magdalena und lächelte. »Du vergisst, dass wir gemeinsam hier sind.« Sie zuckte mit den Schultern und biss noch einmal von ihrer fettigen Wurst ab. »Ich schlage vor, dass wir uns stante pede auf den Weg zu meiner Tante machen und nachschauen, ob mein Vater noch da ist«, sagte sie mit vollem Mund. »Alles Weitere wird man sehen. Los geht’s!« Sie wischte sich die Hände am Rock ab und griff nach dem Reisesack neben ihr.
Der Sack war verschwunden.
Einige Schritte entfernt konnte Magdalena einen hageren Kerl erkennen, der mit ihrem Beutel unter dem Arm in der Menge verschwinden wollte. Sie sprang auf und rannte dem Mann hinterher.
»Verfluchtes Diebsgesindel!«
Auch Simon hatte jetzt die Verfolgung aufgenommen. Gemeinsam stießen sie gegen einige Reisende, die beladen mit Kisten und Säcken gerade von einem Floß stiegen. Hinter sich hörte Magdalena Schreien und Platschen, doch sie hatte keine Zeit, sich umzusehen. Der Dieb war schon fast außer Sichtweite. Verzweifelt versuchte sie ihn einzuholen, ihr Rock flatterte wie eine Fahne hinter ihr imWind. In dem gestohlenen Beutel war alles, was sie noch mit ihrer Heimat Schongau verband. Darunter auch das kleine verwaschene Bild, das ein Hausierer einst von ihrer Mutter gemalt hatte. Sie durfte es nicht verlieren!
Der Dieb lief nun am Rand der Floßlände entlang, dort, wo nur wenige Menschen unterwegs waren und er schneller vorankam. Auch Simon hatte diesen Weg gewählt, er blieb dem Mann auf den Fersen, dicht gefolgt von einer fluchenden, zeternden Magdalena. Vor ihnen tauchte nun eine Reihe von Lagerschuppen auf, der Dieb schlug einen Haken und rannte auf einige gestapelte Baumstämme und Kisten zu. Auf der anderen Seite des Stapels verlief eine Gasse, auf der Fuhrwerke, Kutschen und ein breiter Strom von Menschen unterwegs waren. Sollte der Mann es bis dorthin schaffen, würden sie ihn ohne Zweifel im Gewühl verlieren!
In diesem Augenblick stolperte Simon über ein am Boden liegendes Tau und schlug schmerzhaft auf den Knien auf, während Magdalena an ihm vorübereilte.
»Haltet diesen Lumpen!«, schrie sie. »Haltet ihn!« Doch die wenigen Flößer und Handwerker, die zwischen den Holzstapeln standen, sahen nur teilnahmslos zu ihr hinüber.
Triumphierend schwang der hagere Kerl den Sack über seinen Kopf und kletterte auf einen Berg Fichtenstämme. Als er den höchsten Punkt erreicht hatte, tauchte plötzlich von rechts eine Gestalt auf. Der Mann hatte lange rabenschwarze Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren, an seinen braungebrannten Oberarmen spielten Muskeln wie kleine Bälle. Mit beiden Händen packte er den untersten Stamm und zog ihn mit einem Ruck hervor. Sofort lösten sich die oberen Stämme und rollten krachend in alle Richtungen davon.
Der Dieb taumelte noch kurz wie ein Akrobat auf einemSeil, dann stürzte er schreiend hinab und blieb stöhnend zwischen den Stämmen liegen.
Zwischen den gestapelten Waren erschien nun wieder der schwarzhaarige Mann, der sich vor den rollenden Fichtenstämmen in Sicherheit gebracht hatte. Magdalena schätzte ihn zunächst auf Anfang dreißig, doch als er näher kam, musste sie feststellen, dass er erheblich älter war. Falten hatten sich um seine Mundwinkel und die stechend blauen Augen gegraben und verliehen ihm etwas Reifes, Stattliches. Er trug eine einfache Lederweste über dem nackten Oberkörper, sein einziger Schmuck war ein rotes Tuch, das um seinen Hals geknotet war. In seinen Händen baumelte wie ein Spielzeug der Reisesack der Henkerstochter.
»Ich glaub, du hast etwas verloren«, sagte er und warf Magdalena den Beutel zu. »Und was den hier angeht …« Er packte den fast besinnungslosen Dieb und trug ihn an den Rand der Floßlände. »Ein kühles Bad wirkt manchmal Wunder.« Mit einem
Weitere Kostenlose Bücher