Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Tagelöhner heran. »Führ die beiden zum Weißgerbergraben. Jetzt gleich.«
Der Mann nickte und wandte sich zum Gehen. Noch einmal versuchte Magdalena, den Floßmeister zum Reden zu bringen, doch dieser hatte sich zur Seite gedreht und schlug mit einem schweren Hammer Nägel in ein Fass.
»Komm schon«, sagte Simon und stupste sie behutsam an. »Hier erfahren wir nichts mehr.«
Mit schmalen Lippen wandte sich Magdalena ab und folgte Simon und dem Tagelöhner, der gerade in einer Gasse verschwand. Als sie die Floßlände schon fast verlassen hatten, ertönte hinter ihnen noch einmal die Stimme des Floßmeisters.
»Gott steh euch bei!«, rief Karl Gessner ihnen nach. »Und denkt an den ›Walfisch‹! Dort findet ihr vielleicht jemand, der euch helfen kann!«
Nur wenige Straßen weiter erwartete sie die harte Wirklichkeit.
Als sich die beiden atemlos dem Badehaus näherten, merkten sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Vor der Tür, die mit einer dicken Kette versperrt war, stand ein grimmiger Wachmann mit Hellebarde; eine Gruppe Neugieriger lungerte auf der Straße herum und unterhielt sich tuschelnd. Der schweigsame Tagelöhner hatte sich in der Zwischenzeit entfernt. Auch von ihm hatten Simon und Magdalena nicht das Geringste erfahren, was mit Lisbeth Hofmann geschehen war.
Die Henkerstochter tippte einen der Umstehenden auf dieSchulter und zeigte auf das Gebäude. »Was ist denn da drin passiert, dass ihr euch alle die Augen ausgafft?«, fragte sie so teilnahmslos wie nur möglich. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Der alte weißhaarige Mann vor ihr hatte ein Funkeln in den Augen, wie Magdalena es von früheren Ereignissen her kannte. Etwas war geschehen, und man dankte Gott, dass es einen nicht selbst erwischt hatte.
»Der Bader und seine Frau«, flüsterte der Alte. »In ihrem eigenen Blut hat man sie gefunden, wie zwei abgestochene Säue. Fast eine Woche ist das schon her, und noch immer wird das Haus bewacht. Irgendwas stimmt da nicht.«
Magdalenas Gesicht wurde schlagartig kalkweiß. »Sind die Badersleute denn tot?«, krächzte sie, als wüsste sie die Antwort nicht schon längst.
Der Mann kicherte wie ein kleines Kind. »Tot wie zwei Gäule beim Schinder. Es heißt, das Blut ist dort drin knöcheltief gestanden. Eine Riesensauerei muss das gewesen sein.«
Mühsam versuchte Magdalena ihre Gedanken zu ordnen. »Und?«, stammelte sie. »Weiß man schon, wer’s gewesen ist?«
Der Alte nickte begeistert. »Sie haben den Burschen!«, kiekste er. »Der Schwager vom Hofmann, groß wie ein Bär, ein echtes Monstrum. Es heißt, er käm von irgendwo aus der Nähe von Augsburg. Hab den Ort noch nie vorher gehört.«
»Vielleicht aus … Schongau?«, fragte Simon mit leiser Stimme.
Der Greis runzelte die Stirn. »Aus Schongau, ja. Kennt ihr den Mörder etwa?«
Schnell schüttelte Magdalena den Kopf. »Nein, nein. Dashat uns nur irgendwer erzählt. Wo hat man denn dieses … Monstrum jetzt hingebracht?«
Mit zunehmend skeptischem Blick musterte sie der Alte. »Na, in eine der Zellen neben dem Rathaus natürlich. Ihr seid wohl nicht von hier, hä?«
Ohne zu antworten, packte die Henkerstochter Simon am Ärmel und zog ihn in eine kleine Nebengasse, weg von dem Badehaus, wo der Greis bereits anfing, mit den anderen Neugierigen über die Fremden zu tratschen, die das Monstrum offenbar kannten.
»Ich fürchte, dein Vater steckt bös in der Klemme«, flüsterte Simon und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. »Glaubst du wirklich, dass …?«
»Unsinn!«, zischte Magdalena. »Warum sollte mein Vater so etwas tun? Seine eigene Schwester! Das ist doch lächerlich!«
»Und? Was sollen wir jetzt machen?«
»Du hast es doch selbst gehört, er ist irgendwo im Rathaus«, erwiderte Magdalena schroff. »Also gehen wir dorthin. Wir müssen ihm helfen.«
»Helfen? Aber wie willst du …«, hob Simon an, doch die Henkerstochter rannte bereits die schmale stinkende Gasse entlang. Tränen der Wut und der Trauer liefen ihr übers Gesicht.
Ihr Traum vom neuen Leben war auf grausame Art zerplatzt, noch bevor er richtig angefangen hatte.
Aus der Gruppe der Menschen vor dem Baderhaus löste sich eine Gestalt und folgte den beiden Fremden lautlos. Keiner der Passanten würde sich später an sie erinnern können. Sie war unsichtbar wie eine Hauswand oder ein abgestellter Karren, unbeweglich, immer da und deshalb außerhalb jeder Wahrnehmung. Dabei hatte sie nur wenigeSchritte entfernt
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