Die Henkerstochter
ein Kreuz oder betete ein Ave-Maria. Dann ging man wieder seiner Wege.
Die Bürger waren sich sicher: Die Hexe erhielt ihre gerechte Strafe. Noch war sie störrisch, doch schon bald würde sie ihre Machenschaften den hochwohlgeborenen Schöffen auf den Tisch spucken, und dann wäre endlich ein Ende. Sie würde ihre Buhlschaft mit dem Teufel gestehen und die wilden Nächte mit ihm, wie sie gemeinsam das Blut der unschuldigen Kinderlein getrunken und sie mit dem Teufelszeichen gebrandmarkt hatten. Sie würde von den orgiastischen Tänzen berichten, wie sie dem Teufel den Arsch geküsst hatte und ihm zu Willen gewesen war. Sie würde von den anderen Hexen erzählen, die mit ihr auf Besen durch die Luft geflogen waren, aufgepeitscht mit scharf riechender Hexensalbe, die sie sich auf ihre Scham geschmiert hatten. Lüsterne Weiber allesamt! Und so manchem braven Schongauer lief bei diesen Gedanken das Wasser im Mund zusammen. Und so manche Schongauerin konnte sich jetzt schon denken, wer diese anderen Hexen waren: die Nachbarin mit dem bösen Blick, die Bettlerin hinten in der Münzgasse, die Magd, die dem kreuzbraven Ehemann hinterherstieg …
An einem Stand am Marktplatz biss Bonifaz Fronwieser gerade in seine warme Pastete, als das Schreien derStechlin bis zu ihm herüberwehte. Plötzlich schmeckte das Fleisch alt und faulig. Er warf den Rest einem Rudel balgender Hunde zu und machte sich auf den Weg nach Hause.
Der Teufel war in Clara gefahren und ließ sie nicht mehr los. Das Mädchen warf sich auf seinem Bett aus Reisig von der einen zur anderen Seite. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, das Gesicht war wächsern wie das einer Puppe. Immer wieder murmelte Clara im Schlaf, gelegentlich schrie sie so laut, dass Sophie ihr den Mund zuhalten musste. Gerade eben wieder schien der Teufel ganz nah bei ihr zu sein.
»Er ... er fasst zu. Nein! Geh weg! Geh weg! Höllenkrallen ... das Herz aus dem Leib ... Es tut so weh, so weh ... «
Sanft drückte Sophie ihre kleine Freundin wieder auf die Lagerstatt zurück und wischte ihr mit einem nassen Lappen über die heiße Stirn. Das Fieber hatte nicht nachgelassen, im Gegenteil, es war stärker und stärker geworden. Clara glühte wie ein kleiner Ofen. Der Trank, den Sophie ihr verabreicht hatte, hatte nur vorübergehend geholfen.
Seit drei Nächten und vier Tagen hielt Sophie jetzt hier Wache. Nur gelegentlich war sie nach draußen gegangen, um Beeren und Kräuter zu sammeln oder in einem der umliegenden Bauernhöfe etwas Essbares zu stehlen. Gestern hatte sie ein Huhn gefangen, es geschlachtet und daraus nachts eine heiße Suppe für Clara gekocht. Doch sie hatte Angst gehabt, dass man das Feuer sehen konnte, und war bald wieder hineingekrochen. Ihre Vorahnung sollte sie nicht täuschen. In der Nacht hatte sie Schritte gehört, sie waren ganz in der Nähe an ihrem Versteck vorbeigegangen und hatten sich wieder entfernt.
Einmal war sie zur Floßlände gegangen und hatte einenJungen gebeten, dem Ratsherren Schreevogl mitzuteilen, dass es seiner Stieftochter gut gehe. Sie hatte das zunächst für eine gute Idee gehalten. Doch als dann dieser Medicus im Wald aufgetaucht war, hatte sie sich dafür verflucht. Erst recht, als plötzlich der Teufel selbst wie aus dem Nichts erschienen war. Sie hatte sich blitzschnell in eine mit Sträuchern bewachsene Mulde fallen lassen, und der Mann mit der Knochenhand war an ihr vorbeigerannt, auf den Medicus zu. Seitdem wusste sie nicht, ob der junge Doktor tot war oder entkommen konnte. Sie wusste nur, dass ihnen die Männer dicht auf den Fersen waren.
Mehrmals hatte sie letzte Nacht überlegt, ob sie in die Stadt gehen und alles erzählen sollte. Vielleicht dem Medicus, wenn er noch lebte, oder dem Henker. Beide schienen auf ihrer Seite zu sein. Sie könnte alles erzählen und Clara würde gerettet. Vielleicht würden sie die Hebamme nur an den Schandpfahl binden, oder ihre Stiefeltern mussten ein Strafgeld zahlen, weil ihre Mündel sich auf Dinge eingelassen hatten, die sie nichts angingen. Vielleicht gab es eine Tracht Prügel, sonst nichts. Vielleicht wurde doch noch alles gut.
Aber eine deutliche Ahnung, die sie schon immer ausgezeichnet und zur Anführerin über die anderen Kinder gemacht hatte, sagte ihr, dass man ihnen nicht glauben würde. Dass sich die Dinge schon zu weit entwickelt hatten, dass es kein Zurück mehr gab.
Neben ihr schrie Clara erneut im Schlaf auf. Sophie biss sich auf die Lippen. Tränen rannen ihr über
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