Die Henkerstochter
das lehmverschmierte Gesicht. Sie wusste keinen Ausweg mehr.
Von fern waren plötzlich Rufe zu hören. Gelächter und Schreie, die bis in ihr Versteck drangen. Sophie drückte Clara einen Kuss auf die Stirn, dann begab sie sich dorthin, wo sie den Wald überblicken konnte.
Zwischen den Bäumen huschten Schemen umher. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, so dass sie die Gestalten zunächst nicht genau erkennen konnte. Kurz darauf war auch noch das Bellen von Hunden zu hören. Vorsichtig schob Sophie sich noch einige Zentimeter höher. Jetzt erkannte sie die Männer, es waren Bauern aus Altenstadt. Auch Franz Strasser, der Ziehvater von Johannes, war darunter. Er hielt einen großen Hund an der Leine, der ihn in Richtung ihres Verstecks zog. Schnell duckte sich Sophie und kroch dorthin, wo sie nicht mehr zu sehen war. Die Stimmen der Männer klangen merkwürdig verhallt, wie vom Ende eines langen Tunnels.
»Lass uns aufhören, Franz!«, rief einer der Männer jetzt. »Wir haben schon den ganzen Tag gesucht. Bald wird es dunkel. Die Männer sind müde und hungrig, sie wollen nach Hause. Lass uns morgen weiter nach diesem Versteck suchen.«
»Wartet noch, nur noch hier!«, rief Franz Strasser zurück. »Der Hund riecht irgendwas!«
»Was soll er schon riechen«, lachte der andere. »Die Hex? Die Töle vom Spanner Sepp riecht er, die ist läufig. Siehst nicht, wie’s ihn hinzieht?«
»Depp, du! Des ist was anderes. Schau, ganz narrisch wird er ...«
Die Stimmen waren näher gekommen. Sophie hielt den Atem an. Jetzt waren sie direkt über ihr. Der Hund fing zu bellen an.
»Irgendetwas muss hier sein«, murmelte der Strasser. »Lass uns noch diese Stelle hier absuchen, dann soll’s gut sein.«
»Also gut, noch diese Stelle. Der Hund ist wirklich ganz narrisch ... «
Sophie hörte Rufen und Gejohle, die anderen Bauernwurden ungeduldig. Über ihr gingen Schritte auf Kies auf und ab. Das Hecheln des Hundes klang wie kurz vorm Ersticken, offenbar zog er so fest an der Leine, dass er sich fast selbst erdrosselte.
In diesem Moment fing Clara wieder zu schreien an. Es war ein langgezogener Angstschrei, wieder einmal überfielen sie die Schatten aus der Finsternis und kratzten mit langen Fingernägeln über ihre weiche Kinderhaut. Sobald Sophie den Schrei hörte, warf sie sich eilig neben Clara und hielt ihr die Hand vor den Mund. Doch es war zu spät.
»Hast du das gehört?«, fragte der Strasser-Wirt aufgeregt.
»Was denn? Dein Hund keucht und bellt, da ist sonst nichts zu hören.«
»Verdammter Köter, sei endlich still!«
Ein Tritt war zu hören, dann ein Winseln. Der Hund gab endlich Ruhe.
»Da hat jemand geschrien, ein Kind war’s.«
»Ach was, der Hund hat gejault. Dir hat der Teufel schon ins Ohr geschissen.«
Gelächter. Die Rufe der anderen wurden schwächer.
»Einen Schmarren! Ich bin mir sicher, ein Kind war’s ... «
Unter Sophies starken Händen warf sich Clara hin und her. Noch immer hielt Sophie ihr den Mund zu, obwohl sie Angst hatte, das Mädchen zu ersticken. Aber Clara durfte jetzt nicht schreien. Jetzt nicht.
Plötzlich war von oben ein erschrecktes Keuchen zu hören. »Schau, der Hund«, rief Franz Strasser. »Er fängt an zu graben! Da ist was!«
»Stimmt, der gräbt ... Was der wohl ...«
Die Stimme des anderen Mannes ging in lautes Lachen über.
»Einen Knochen, einen saudummen Knochen hat erausgegraben! Haha, des ist bestimmt ein Teufelsknochen! «
Franz Strasser fing an zu fluchen. »Du blöde Töle, was machst da? Lass des liegen, ich schlag dich tot! «
Wieder Tritte und Winseln. Dann entfernten sich die Schritte. Nach einer Weile war nichts mehr zu hören. Trotzdem krallte sich Sophies Hand noch immer um den Mund von Clara, wie ein Schraubstock hielt sie den zierlichen Kopf umklammert. Das kranke Mädchen war mittlerweile blau im Gesicht. Endlich ließ Sophie los. Clara sog ein paar Mal die Luft ein, als wäre sie kurz vorm Ertrinken, dann ging ihr Atem regelmäßiger. Die Schatten hatten sich zurückgezogen. Sie glitt in einen ruhigen Schlaf hinüber.
Sophie saß neben ihr und weinte lautlos. Fast hätte sie ihre Freundin umgebracht. Sie war eine Hexe, die Leute hatten recht. Gott würde sie bestrafen für das, was sie verbrochen hatte.
Während die Stechlin gefoltert wurde, saß Simon Fronwieser im Haus des Henkers und kochte Kaffee. In einem kleinen Beutel am Gürtel trug er immer eine Handvoll der fremdartigen Bohnen mit sich. Jetzt hatte er sie im
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