Die Henkerstochter
…
»Ich habe mit ihm geredet, mit deinem Vater ... Wegen uns«, begann er unvermittelt.
Sie hörte auf zu schluchzen und sah ihn von unten herauf fragend an.
»Und? Was hat er gesagt?«
Ihr Blick war so voller Hoffnung, dass er spontan beschloss zu lügen.
»Er ... er hat gesagt, dass er es sich überlegen will. Dass er zunächst sehen möchte, ob ich etwas tauge. Wenn die Sache mit der Stechlin ausgestanden ist, dann will er sich entschließen. Er mag’s nicht ausschließen, hat er gesagt.«
»Aber ... das ist ja wunderbar!«
Magdalena wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelte ihn mit verquollenen Augen an.
»Das heißt, du musst ihm nur helfen, die Stechlin wieder aus der Feste zu bekommen.«
Ihre Stimme wurde von Wort zu Wort fester.
»Wenn er merkt, dass du was im Kopf hast, dann wird er dir auch seine Tochter anvertrauen. Das war immer alles, was für meinen Vater gezählt hat. Dass einer was im Kopf hat. Und das wirst du ihm jetzt beweisen!«
Simon nickte, aber er vermied es, sie direkt anzusehen. Magdalena hatte sich inzwischen wieder im Griff. Sie goss sich einen Becher Wein ein und leerte ihn auf einen Zug.
»Was habt ihr herausgefunden heut früh?«, fragte sie und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Simon erzählte ihr vom Tod des Strasserjungen und dass die Hebamme wieder aus der Ohnmacht erwacht war. Außerdem berichtete er Magdalena von den Andeutungen ihres Vaters und ihrer Verabredung für die kommende Nacht. Sie hörte aufmerksam zu und stellte nur ab und zu eine kurze Zwischenfrage.
»Und du sagst, der Strasser-Wirt hätte berichtet, der Johannes sei oft lehmverschmiert gewesen?«
Simon nickte. »Das hat er erzählt. Und dann hat dein Vater so komisch geschaut.«
»Hast du dir die Fingernägel von dem toten Buben einmal angesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich glaube, dein Vater hat das getan.«
Magdalena lächelte. Simon glaubte plötzlich, in das Gesicht ihres Vaters zu blicken.
»Was grinst du so? Sag schon!«
»Ich glaub, ich weiß jetzt, was mein Vater mit dir heute Nacht noch machen will.«
»Was denn?«
»Nun, er will sich wahrscheinlich die Fingernägel von den anderen Buben noch einmal anschauen.«
»Aber die sind doch schon längst auf dem Friedhof von Sankt Sebastian!«
Magdalena grinste wölfisch. »Jetzt weißt du auch, warum ihr erst heute Nacht zum Zwölfuhrläuten unterwegs seid.«
Simon wurde weiß im Gesicht. Er musste sich setzen. »Du ... du meinst ...?«
Magdalena goss sich einen weiteren Becher Wein ein. Sie nahm einen tiefen Schluck, bevor sie weitersprach.
»Wollen nur hoffen, dass die beiden Buben wirklich tot sind. Nachher ist tatsächlich der Teufel in sie hineingefahren. Nehmt’s besser ein Kruzifix mit. Man weiß ja nie ... «
Dann küsste sie ihn kurz auf den Mund. Sie schmeckte nach Wein und Erde. Es war besser als Kaffee.
12
Sonntag,
den 29. April Anno Domini 1659,
6Uhr abends
R ings um die Stadt breitete sich langsam die Dämmerung aus. Die Wege und Felder lagen zwar noch im Sonnenlicht, doch unter dem dichten Blattwerk der Eichen und Buchen war bereits der Abend eingekehrt. Schatten tasteten sich vor auf eine Lichtung, die eine frühere Rodung in den Wald geschlagen hatte. Die vier Männer saßen um ein prasselndes Lagerfeuer, über dem sich ein Spieß mit zwei Hasen drehte. Fett tropfte in die Glut und verbreitete einen Geruch, der ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Sie hatten den ganzen Tag noch nichts gegessen außer ein paar Bissen Brot und einigen Wildkräutern; dementsprechend gereizt waren sie.
»Wie lange sollen wir uns noch auf diesem gottverdammten Flecken den Arsch breit sitzen?«, brummte der eine, der den Spieß über dem Feuer drehte. »Lasst uns weiterziehen nach Frankreich. Da suchen die Welschen noch solche wie uns, da geht der Krieg noch weiter.«
»Und was ist mit dem Geld, hä?«, fragte ein Zweiter, der sich auf dem moosigen Waldboden räkelte. »Fünfzig Gulden hat er uns versprochen, dafür dass wir die Baustelle dem Erdboden gleichmachen. Und noch einmal fünfzig, wenn der Braunschweiger die kleinen Kröten abmurkst. Gesehen haben wir vom Geld bislang gerade mal ein Viertel.Und das, obwohl wir unsere Aufgabe erfüllt haben...«
Er schielte hinüber zu einem Mann, der ein Stück entfernt an einem Baum lehnte. Der Angesprochene blickte nicht einmal auf. Er war mit seiner Hand beschäftigt. Offenbar war etwas mit ihr nicht in Ordnung, denn er
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