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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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geschlagen, hatte Martha Stechlin geweckt. Als sie die Augen aufschlug, merkte sie, dass der Hammer in ihrem Körper tobte. Ein Schmerz, wie sie ihn noch nie zuvor erlebt hatte, fuhr in regelmäßigen Abständen durch ihre rechte Hand. Sie blickte an sich herunter und erblickte eine unförmige, blau und schwarz gefärbte Schweinsblase. Sie brauchte einige Zeit, um zu begreifen, dass diese Blase ihre Hand war. Der Henker hatte mit den Daumenschrauben ganze Arbeit geleistet. Finger und Handrücken waren um mehr als das Doppelte angeschwollen.
    Sie erinnerte sich schwach daran, dass sie den Trank, den Jakob Kuisl ihr gegeben hatte, in wenigen Zügen getrunken hatte. Er hatte bitter geschmeckt, und sie hatte sich denken können, was er enthielt. Schließlich war sie eine Hebamme und daher vertraut mit Mitteln aus Stechapfel, Eisenhut oder Alraune. In geringen Dosen hatte Martha Stechlin sie bei Geburten schon des Öfteren als schmerzstillende Medizin eingesetzt. Freilich durfte das keiner wissen, diese Pflanzen galten weithin als Hexenkräuter.
    Der Trank, den ihr der Henker verabreicht hatte, war so stark gewesen, dass sie die nachfolgenden Ereignisse nur noch schemenhaft in Erinnerung hatte. Man hatte sie gefoltert, aber der Schreiber, die Zeugen, auch der Henker waren merkwürdig fern gewesen, ihre Stimmen hatten wie verhallte Echos geklungen. Schmerz hatte sie keinengespürt, nur eine angenehme Wärme in ihrer Hand. Dann war die Schwärze gekommen, und nun schließlich das rhythmische Klopfen, das sie brutal zurückgeholt hatte aus dem Land jenseits von Angst und Leid. Der Schmerz strömte in sie hinein wie Wasser in eine leere Schüssel, er füllte sie vollständig aus. Sie begann zu schreien und mit der gesunden Hand an den Gitterstäben zu rütteln.
    »Na, Hex, spürst schon das Feuer?«, schrie der Flößer Georg Riegg aus der Nachbarzelle zu ihr herüber. Er und der Wachmann der Floßlände waren noch immer neben ihr eingekerkert. Das Schreien der Stechlin war eine willkommene Abwechslung.
    »Hex dich doch heraus, wenn du kannst, oder hat dich der Teufel im Stich gelassen?«, höhnte Georg Riegg.
    Der mit ihm eingesperrte Wachmann hielt ihn an der Schulter fest. »Lass das, Georg«, mahnte er. »Die Frau hat Schmerzen, wir sollten besser den Büttel rufen.«
    Doch das war nicht mehr nötig. Genau in dem Augenblick, als der Flößer zu einer neuen Hasstirade ansetzen wollte, schloss der Wächter Andreas die Tür zur Feste auf. Das Schreien hatte ihn aus seinem Nickerchen geweckt. Als er die Stechlin an den Gitterstäben rütteln sah, eilte er sofort wieder hinaus. Ihr Weinen und Klagen verfolgte ihn bis hinaus auf die Straße.
     
    Nur eine halbe Stunde später waren die Zeugen Berchtholdt, Augustin und Schreevogl benachrichtigt und zur Fronfeste hinbestellt worden. Dort erwartete sie bereits der Schreiber Johann Lechner mit dem Medicus.
    Der alte Fronwieser hatte sich als nützlicher Handlanger der Stadt erwiesen. Gerade stand er tief gebeugt über der Hebamme und wickelte ihr ein feuchtes Tuch um diegeschwollene Hand. Das Tuch war fleckig und roch, als hätte es zuvor schon diverse andere Körperteile bedeckt.
    »Und?«, fragte der Schreiber, während er die schluchzende Hebamme so interessiert betrachtete wie ein seltenes, zerrupftes Insekt. Ihr Schreien war jetzt in ein beständiges Jammern übergegangen, ähnlich dem eines Kindes.
    »Eine simple Blutschwellung, weiter nichts«, sagte Bonifaz Fronwieser und zurrte das Tuch mit einem Knoten fest. »Allerdings sind der Daumen und der Mittelfinger wahrscheinlich gebrochen. Ich habe ihr einen Umschlag aus Arnika und Eichenrinde gemacht. Das wird die Schwellung zurückgehen lassen.«
    »Ist sie vernehmungsfähig, will ich wissen?«, hakte Johann Lechner nach.
    Der Medicus nickte unterwürfig, während er seinen Beutel mit Salbentiegeln, rostigen Messern und einem Kruzifix wieder zusammenpackte. »Allerdings würde ich bei einer weiteren Folter die andere Hand nehmen. Ihr lauft sonst Gefahr, dass sie wieder ohnmächtig wird.«
    »Ich danke dir für deine Mühen«, sagte Lechner und drückte Bonfaz Fronwieser einen ganzen Gulden in die Hand. »Du kannst dich jetzt entfernen. Bleib in Reichweite, wir rufen dich, wenn wir dich noch einmal benötigen sollten.«
    Unter mehrmaligem Verbeugen verabschiedete sich der Medicus und eilte hinaus auf die Straße. Draußen schüttelte er den Kopf. Er hatte nie verstanden, warum man einen bereits Gefolterten noch einmal kurieren

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