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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Kräutermörser des Scharfrichters zermahlen und einen Topf mit Wasser auf die Feuerstelle gestellt. Als das Wasser brodelte, gab er mit einem Zinnlöffel ein wenig von dem schwarzen Pulver in den Topf und rührte um. Sofort verbreitete sich ein scharfer, aromatischer Duft im Haus. Simon hielt die Nase dicht über den Topf und sog ihn ein. Der Geruch machte seinen Kopf klar und frei. Schließlich goss er das Gebräu in einen Becher. Während er wartete, dass das Pulver sich absetzte, dachte er über die vergangenen Stunden nach.
    Nach ihrem kurzen Abstecher in Altenstadt hatte er Jakob Kuisl noch nach Hause begleitet, doch der Henker wollte nicht verraten, was er mit seinen rätselhaften Worten am Ende ihres Besuchs beim Strasser-Wirt gemeint hatte. Auch auf mehrmaliges Nachfragen hin hatte er nur gesagt, Simon solle sich die Nacht über bereithalten, sie seien der Lösung ein gutes Stück näher gekommen. Dabei hatte der sonst so grimmige Scharfrichter vor sich hin geschmunzelt. Zum ersten Mal seit Tagen hatte Simon das Gefühl, dass Jakob Kuisl vollauf mit sich zufrieden war.
    Dieses Glück wurde jäh gestört, als sie am Haus des Henkers im Lechviertel anlangten. Vor der Türe warteten bereits zwei Büttel, um Jakob Kuisl mitzuteilen, dass die Stechlin wieder bereit sei für das Verhör.
    Das Gesicht des Henkers war mit einem Mal aschfahl geworden.
    »Jetzt schon?«, hatte er gemurmelt, war ins Haus gegangen und schon nach kurzer Zeit mit den notwendigen Utensilien wieder herausgekommen. Dann nahm er Simon kurz beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: »Jetzt können wir nur noch hoffen, dass die Martha stark bleibt. Sei auf jeden Fall heut’ Nacht zum Zwölfuhrläuten bei mir. «
    Dann war er hinter den Bütteln hergetrottet, hinauf zur Stadt, auf dem Rücken einen Sack, gefüllt mit Daumen- und Beinschrauben, Seilen zum Binden und Schwefelhölzern, die sich unter die Fingernägel schieben und anzünden ließen. Der Henker ging besonders langsam, aber irgendwann war er hinter dem Lechtor verschwunden.
    Anna Maria Kuisl hatte Simon nur kurze Zeit später vor dem Haus aufgelesen, als er noch unschlüssig auf den fernen Punkt oben am Tor starrte. Sie schenkte ihm einen Becher Wein ein, strich ihm über den Kopf und ging dann mit den zwei kleinen Kindern zum Markt, um Brot zukaufen. Das Leben ging weiter, auch wenn drei Buben tot waren und eine vermutlich unschuldige Frau in gerade diesem Augenblick unsägliche Qualen erlitt.
     
    Simon zog sich mit dem dampfenden Gebräu in die Nebenstube des Henkerhauses zurück und fing an, wahllos in Büchern zu blättern. Aber er konnte sich nicht richtig konzentrieren, die Buchstaben verschwammen immer wieder vor seinen Augen. Fast dankbar sah er sich um, als hinter ihm das Quietschen der Tür Besuch ankündigte. Magdalena stand dort, das Gesicht verheult, die Haare wirr und ungekämmt.
    »Nie und nimmer werd ich den Steingadener Henker heiraten«, schluchzte sie. »Lieber geh ich ins Wasser!«
    Simon zuckte zusammen. Über den grauenhaften Ereignissen der letzten Stunden hatte er Magdalena ganz vergessen! Er klappte das Buch zu und nahm sie in die Arme.
    »Dein Vater würde so etwas nie machen, nicht ohne dein Einverständnis«, versuchte er sie zu trösten.
    Sie stieß ihn weg. »Was weißt du schon von meinem Vater! «, schrie sie. »Er ist der Henker, er quält und tötet, und wenn er das gerade nicht tut, verkauft er Liebestränke an alte Weiber und Gift an die jungen Dinger, damit sie ihre Bälger im Leib verrecken lassen. Mein Vater ist ein Ungeheuer, ein Scheusal! Der verheiratet mich für ein paar Gulden und eine Flasche Branntwein, ohne mit der Wimper zu zucken! Geschissen auf meinen Vater!«
    Simon hielt sie fest und sah ihr in die Augen. »So darfst du nicht über deinen Vater reden! Du weißt, dass das nicht wahr ist. Dein Vater ist der Henker, aber weiß Gott, einer muss es ja machen! Er ist ein starker und kluger Mann. Und er liebt seine Tochter!«
    Weinend krallte sie sich in Simons Wams, während sieimmer wieder den Kopf schüttelte. »Du kennst ihn nicht. Er ist ein Ungeheuer, ein Ungeheuer ...«
    Simon stand da und blickte mit leeren Augen durch das Fenster hinaus auf den Kräutergarten, wo sich das erste Grün in der braunen Erde regte. Er fühlte sich so machtlos. Warum konnten sie nicht einfach zusammen glücklich sein? Warum gab es immer wieder Menschen, die ihnen vorschrieben, wie sie zu sein hatten? Sein Vater, Magdalenas Vater, die ganze verdammte Stadt

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