Die Henkerstochter
nicht eher fortfahren konnten. Wenn Euer Vater an Eurer Stelle hier wäre, müssten wir uns nicht solche törichten Reden anhören!«
Georg Augustin zuckte bei dieser Zurechtweisung zusammen. Kurz schien er etwas sagen zu wollen, dann griff er zum Becher und blickte wieder zu den Folterinstrumenten hinüber.
Während die hohen Herren unten stritten, schlich der Henker leise in die Zelle der Stechlin. Unter den wachsamen Augen zweier Büttel nahm er der schluchzenden Hebamme die Ketten ab und richtete sie auf.
»Hör zu, Martha«, flüsterte er. »Du musst jetzt stark sein. Ich bin ganz nah daran, den wahren Täter zu finden, und dann kommst du hier raus, so wahr mir Gott helfe. Aber heut werd ich dir noch einmal wehtun müssen. Und diesmal kann ich dir keinen Trank geben, das würden sie merken. Verstehst mich?«
Er schüttelte sie sanft; die Hebamme hörte mit dem Schluchzen auf und nickte. Jakob Kuisls Gesicht war jetzt ganz nah an ihrem, so dass die Büttel ihn nicht hören konnten.
»Du darfst nur nicht gestehen, Martha. Wenn du gestehst, ist alles aus. « Er nahm ihr zierliches, aschfahles Gesicht zwischen seine großen Pranken.
»Hörst du mich?«, fragte er noch einmal. »Nicht gestehen...«
Die Hebamme nickte erneut. Er drückte sie fest, dann stiegen sie die Stufen nach unten in den Folterkeller.
Als die nackten Füße der Stechlin die Treppe nach unten tappten, drehten sich die Köpfe der Zeugen sofort in ihre Richtung. Die Gespräche verstummten. Das Schauspiel konnte beginnen.
Die Angeklagte wurde von zwei Bütteln auf einen Stuhl in der Mitte des Raumes gedrückt und mit fingerdicken Hanfseilen gebunden. Ihr Blick irrte ängstlich zwischen den hohen Herren hin und her und blieb schließlich an Jakob Schreevogl hängen. Selbst von seinem Platz hinter dem Tisch aus konnte er sehen, wie ihr Brustkorb hektisch auf und ab ging, viel zu schnell, wie bei einem jungen Vogel in Todesangst.
»Wir sind das letzte Mal unterbrochen worden«, begann Johann Lechner die Befragung. »Ich möchte deshalb noch einmal von vorne beginnen.« Er rollte eine Pergamentrolle vor sich aus und tauchte die Feder in das Tintenglas.
»Punkt eins«, dozierte er. »Hat die Delinquentin Hexenmale vorzuweisen, die als Beweis dienen können?«
Der Bäcker Berchtholdt leckte sich die Lippen, während die Büttel Martha Stechlin das braune Büßergewand über den Kopf streiften.
»Um Streitereien wie beim letzten Mal zu vermeiden, werde ich die Examinierung diesmal selbst vornehmen«, sagte Johann Lechner.
Er untersuchte den Körper der Hebamme Zentimeter für Zentimeter; er sah unter den Achseln nach, am Gesäß und zwischen den Schenkeln. Martha Stechlin hielt die Augen geschlossen. Selbst als der Schreiber mit spitzen Fingern ihre Scham inspizierte, war kein Weinen von ihr zu hören. Schließlich hielt Lechner inne. »Das Mal auf dem Schulterblatt erscheint mir am verdächtigsten. Wir wollen die Probe machen. Henker, die Nadel!«
Jakob Kuisl reichte ihm eine fingerlange Nadel. Ohne zu zögern, stieß der Gerichtsschreiber die Nadel tief in das Schulterblatt. Martha Stechlin schrie so laut auf, dass Jakob Kuisl zusammenzuckte. Sie hatten angefangen, und er konnte nichts dagegen tun.
Interessiert beobachtete Johann Lechner den Einstichpunkt, schließlich lächelte er zufrieden. »Wie ich es mir gedacht habe«, sagte er, während er wieder zum Schreibtisch zurückging und hinter seinen Schreibutensilien Platz nahm. Laut mitsprechend begann er zu schreiben. »Delinquentin entblößt. Von mir selbst mit einer Nadel gestochen. Einen Punkt ausgemacht, aus dem kein Blut fließt ...«
»Aber das ist doch kein Beweis!«, unterbrach ihn Jakob Schreevogl. »Jedes Kind weiß, dass über dem Schulterknochen kaum Blut fließt! Außerdem ...«
»Schöffe Schreevogl«, fiel ihm Lechner ins Wort. »Ist Euch aufgefallen, dass dieses Mal sich genau an der Stelle befindet, an der auch die Kinder ihr Mal trugen? Und dass dieses Mal wenn nicht genauso, so doch sehr ähnlich aussieht?«
Jakob Schreevogl schüttelte den Kopf. »Ein Muttermal,weiter nichts. Der kurfürstliche Pfleger wird Euch das nie und nimmer durchgehen lassen!«
»Nun, wir sind ja auch noch nicht am Ende«, sagte Lechner. »Henker, die Daumenschrauben. Diesmal nehmen wir die andere Hand.«
Martha Stechlins Schreien drang aus dem Folterkeller durch die schmalen Fenster der Feste bis in die Stadt. Wer in der Nähe war, hielt kurz mit seiner Arbeit inne, schlug
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