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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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geleistet, das Tor war verschlossen.
    »Wir werden klettern müssen«, flüsterte er. Er warf den kleinen Handspaten, den er unter dem Mantel bei sich geführt hatte, auf die andere Seite. Dann zog er sich an der mannshohen Mauer hoch und ließ sich auf der anderen Seite hinunterfallen. Simon hörte ein weiches Plumpsen. Er atmete einmal tief durch, dann hievte er selbst seinen eher schmächtigen Körper in die Höhe. Steine und Mauerwerk schabten an seinem teuren Wams, endlich saß er rittlings oben und blickte auf den Friedhof hinunter.
    An einigen Gräbern von wohlhabenden Bürgern brannten kleine Kerzen, ansonsten waren nur schemenhaft Kreuze und Grabhügel zu erkennen. Hinten in der Ecke, geduckt an die Stadtmauer, stand ein kleines Gebeinhaus.
    In diesem Moment leuchtete drüben in einem Haus in der Hennengasse ein Licht auf. Quietschend schwangen die Fensterläden nach außen. Simon ließ sich von der Mauer fallen und landete mit einem erstickten Aufschrei auf einem frischen Grabhügel. Vorsichtig spähte er nach oben. In der erleuchteten Fensteröffnung stand eine Magd und leerte in weitem Bogen einen Nachttopf aus. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben. Schon kurze Zeit später wurden die Fensterläden wieder geschlossen. Simonklopfte sich die feuchte Erde vom Wams; wenigstens war er weich gefallen.
    Die Gestalt, die ihnen gefolgt war, drückte sich in den Torbogen und beobachtete von dort aus die beiden Männer auf dem Friedhof.
    Der Friedhof der St. Sebastianskirche, direkt an der Stadtmauer gelegen, war erst vor einiger Zeit erbaut worden. Pest und Kriege hatten dafür gesorgt, dass der frühere Gottesacker neben der Stadtpfarrkirche nicht mehr ausreichte. An vielen Stellen wuchsen Büsche und dornige Sträucher, dazwischen führte ein schlammiger Trampelpfad zu den einzelnen Gräbern. Einzelgräber mit verzierten Grabplatten konnten sich nur die Reichen leisten; ihre letzten Ruhestätten befanden sich direkt an der Mauer. Ansonsten ragten über das weite Feld des Gottesackers überall schiefe Holzkreuze empor, die in unförmigen Erdhaufen steckten. Auf den meisten Kreuzen standen mehrere Namen. Es lag sich billiger, wenn man sich den wenigen Platz unter der Erde mit anderen teilte.
    Ein Hügel auf der rechten Seite nahe dem Gebeinhaus sah noch sehr frisch aus. Hier waren erst gestern früh, nach einer zweitägigen Aufbahrung zu Hause, Peter Grimmer und Anton Kratz beerdigt worden. Die Zeremonie war kurz gewesen; die Stadt wollte keine weiteren Unruhen riskieren. Ein lateinisches Gebet des Pfarrers im engsten Kreis der Familie, ein wenig Weihrauch und tröstende Worte, dann hatte man die Angehörigen wieder nach Hause geschickt. Sowohl bei Peter Grimmer wie auch bei Anton Kratz hatte es nur für ein Gemeinschaftsgrab gereicht, beide Familien hatten kein Geld für eine eigene Gruft.
    Jakob Kuisl war schon vorausgestapft. Mit dem Spaten in der Hand stand er neben dem Kreuz und blickte nachdenklich auf die Namen der Toten.
    »Bald wird hier auch der Johannes liegen. Und die Sophie und die Clara, wenn wir uns nicht beeilen.«
    Er nahm den Spaten und stach tief ins Erdreich hinein. Simon schlug ein Kreuz und blickte ängstlich zu den dunklen Häusern in der Hennengasse hinüber. »Ist das wirklich nötig?«, flüsterte er. »Das ist Leichenschändung! Wenn man uns erwischt, könnt Ihr Euch gleich selbst foltern und anzünden!«
    »Red nicht, hilf mir lieber.«
    Jakob Kuisl deutete auf das Gebeinhaus, das erst vor einigen Wochen eingesegnet worden war. Neben der Tür lehnte eine Schaufel. Kopfschüttelnd nahm sich Simon das Werkzeug und fing an, neben dem Henker in der Erde zu wühlen. Zur Sicherheit schlug er noch einmal ein Kreuz. Er war nicht sonderlich abergläubisch, aber wenn Gott jemand mit Blitzschlag strafen sollte, dann sicherlich beim Ausgraben von Kinderleichen.
    »Wir werden nicht tief graben müssen«, flüsterte Jakob Kuisl. »Das Grab war schon fast voll.«
    Tatsächlich stießen sie schon nach gut einem Meter auf eine Lage weißen Kalk. Darunter kam ein kleiner Sarg und ein ebenso kleines Leinenbündel zum Vorschein.
    »Hab ich’s mir doch gedacht!« Der Henker stieß mit der Schaufel gegen das steife Bündel. »Beim Kratz Anton hat’s nicht einmal zum Sarg gelangt. Dabei hat die Familie das Geld. Aber die Mündel, die kann man ja verscharren wie totes Vieh!«
    Er schüttelte den Kopf, dann hob er mit seinen starken Armen Bündel und Sarg auf die Wiese neben der Grube. In seinen gewaltigen

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