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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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des Kerkers und wischte es gleich wieder weg, aus Angst, man könnte sie dabei entdecken. Dann malte sie es noch einmal auf.
     
     
     
    Es war tatsächlich eines der Hexenzeichen. Wer hatte es den Kindern eingeritzt? Wer wusste davon?
    Wer ist die wahre Hexe im Ort?
    Plötzlich keimte ein schrecklicher Verdacht in ihr. Sie wischte das Zeichen fort und schrieb es langsam ein drittes Mal nieder. Konnte das wahr sein?
    Trotz ihrer Schmerzen musste sie leise lachen. Es war so einfach. Sie hatten es die ganze Zeit vor Augen gehabt und trotzdem nicht gesehen.
    Der Kreis mit dem Kreuz nach unten ... Ein Hexenzeichen …
    Ein Stein traf sie mitten auf die Stirn. Ihr wurde einen Moment lang schwarz vor Augen.
    »Hab ich dich, Hex!« Die Stimme von Georg Riegg hallte durch den Kerker. Verschwommen sah sie seine Gestalt im Dunkeln auf der anderen Seite des Raumes hinter den Gitterstäben stehen, die Hand noch erhoben vom Wurf. Neben ihm schnarchte der arretierte Wachmann der Floßlände. »Lachst auch noch dreckig! Wegen dir sitzen wir hier immer noch fest! Gib endlich zu, dass du den Stadl angezündet und die Kinder umgebracht hast. Dann ist endlich wieder eine Ruh in der Stadt! Verstockte Zauberin! Was malst du da für Zeichen?«
    Ein weiterer faustgroßer Stein traf sie am rechten Ohr. Sie sank zu Boden. Verzweifelt versuchte sie noch das Zeichen wegzuwischen, aber ihre Hände gehorchten ihr nicht mehr. Eine Ohnmacht zog sie hinab in die Nacht.
    Die wahre Hexe ... Muss dem Kuisl Bescheid geben …
    Die Kirchturmuhr schlug das Zwölfuhrläuten, als Martha Stechlin blutend auf den Kerkerboden kippte. Dass der zeternde Georg Riegg die Wachen rief, hörte sie schon nicht mehr.
     
    Die Glocke der Stadtpfarrkirche dröhnte dumpf über die Dächer Schongaus hinweg. Zwölfmal schlug sie, als sich zwei in Mäntel gehüllte Gestalten durch den Nebel auf den Weg zum Friedhof von Sankt Sebastian machten. Jakob Kuisl hatte die Wache am Einmann-Tor unten beim Lecheingang mit einer Flasche Branntwein bestochen. Dem alten Wachmann Alois war es ohnehin egal, was der Henker und der junge Medicus um diese Zeit noch auf den Straßen trieben. Und die Nächte im April waren kalt,ein Schluck oder zwei würden ihm guttun. Also winkte er sie herein und verschloss das Tor sorgfältig hinter ihnen wieder. Er setzte die Flasche an, sofort breitete sich der Schnaps wohlig warm in seinem Magen aus.
    Drinnen in der Stadt wählten Henker und Medicus den schmalen, unbelebten Weg über die Hennengasse. Jetzt um diese Zeit durfte kein Bürger mehr draußen sein. Die Wahrscheinlichkeit, auf einen der zwei Nachtwächter zu stoßen, war zwar eher gering, trotzdem mieden sie den Marktplatz und die breite Münzstraße, auf der sich tagsüber und abends das meiste Volk tummelte.
    Sie trugen die Laternen unter den Mänteln, um kein auffälliges Licht zu verbreiten; die Schwärze hüllte sie komplett ein. Einige Male stolperte Simon am Rinnstein oder über liegengebliebene Haufen von Unrat. Leise fluchend gelang es ihm gerade noch, einen Sturz zu vermeiden. Als er erneut in den Inhalt eines Nachttopfs trat und gerade zu einer Litanei von Schimpfwörtern ansetzen wollte, drehte sich der Henker zu ihm um und fasste ihn hart an der Schulter.
    »Sei still, bei Gott! Oder willst du, dass die gesamte Nachbarschaft von unserer Leichenfledderei Wind bekommt?«
    Simon schluckte seinen Zorn hinunter und tappte weiter durch die Dunkelheit. Im fernen Paris, so hatte er gehört, sollte es von Laternen erleuchtete Straßenzüge geben. Die ganze Stadt sei des Nachts ein einziges Lichtermeer. Er seufzte; es würden noch viele Jahre ins Land gehen, bis man auch in Schongau nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße gehen konnte, ohne in einen Haufen Kot zu treten oder blind gegen eine Hauswand zu laufen. Leise fluchend stolperte er weiter.
    Weder er noch der Henker bemerkten, dass ihnen in einigem Abstand eine Gestalt folgte.
    Sie blieb an den Häuserecken stehen, duckte sich in Nischen und huschte immer erst dann weiter, wenn auch Henker und Medicus ihren Weg fortsetzten.
    Endlich sah Simon vor sich ein flackerndes Licht. Durch die Fenster der Kirche zu Sankt Sebastian schimmerte Kerzenschein, eine Opferkerze, die auch um diese Zeit noch brannte. Das Licht reichte gerade aus, um sich zu orientieren. Neben der Kirche befand sich ein schweres Gittertor, das auf den Friedhof führte. Jakob Kuisl drückte die rostige Klinke hinunter und fluchte. Der Messmer hatte ganze Arbeit

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