Die Henkerstochter
Pranken sah der Kindersarg beinahe aus wie eine kleine Werkzeugkiste.
»Hier!« Er reichte Simon einen Fetzen Tuch. »Bind dir das um, sie werden schon stinken.« Simon wickelte sichdas Tuch vors Gesicht und sah zu, wie der Henker Hammer und Meißel ansetzte. Stück für Stück stemmte er so die Nägel heraus. Schon nach kurzer Zeit fiel die Holzplatte zur Seite.
Währenddessen hatte Simon mit seinem Messer den Leinensack der Länge nach aufgeschlitzt. Sofort breitete sich ein süßlicher Geruch aus, der den Medicus würgen ließ. Er hatte in seinem Leben schon viele Leichen gesehen und auch gerochen, aber diese zwei Buben waren bereits seit über drei Tagen tot. Der Gestank war trotz des umgebundenen Tuches so stark, dass er sich zur Seite drehen musste. Er hob kurz das Tuch an und übergab sich, dann wischte er sich keuchend über den Mund. Als er sich wieder umwandte, grinste ihn der Henker an.
»Hab ich’s doch gewusst.«
»Was?«, krächzte Simon. Er blickte auf die toten Kinder, die bereits überall schwarze Flecken aufwiesen. Eine Assel huschte über das Gesicht des kleinen Peter.
Zufrieden kramte Kuisl seine Pfeife hervor und zündete sie an der Laterne an. Er nahm ein paar tiefe Züge, dann deutete er auf die Finger der Toten. Als Simon noch immer nicht reagierte, pulte er mit seinem Messer unter den Fingernägeln von Anton Kratz und hielt das Ergebnis dem Medicus unter die Nase. Zuerst konnte dieser nichts erkennen, doch als er die Laterne ganz dicht an das Messer hielt, erkannte er auf der Spitze feinen roten Staub. Fragend sah er den Henker an.
»Und?«
Jakob Kuisl hielt ihm das Messer so nah an die Nase, dass Simon Angst bekam und einen Schritt zurückwich.
»Ja, siehst es denn nicht, vernagelter Breitschädel?«, zischte der Henker. » Rot ist die Erde! Beim Peter und beim Johannes ist es das Gleiche. Alle drei haben kurz vorihrem Tod in roter Erde gewühlt! Und welche Erde ist rot? Ha, welche ist rot?«
Simon schluckte, bevor er sprach.
»Lehm ... Lehm ist rot«, flüsterte er.
»Und wo gibt es hier so viel Lehm, dass man sich drin eingraben kann?«
Die Erkenntnis traf Simon wie ein Schlag. Es war, als würden sich zwei zerbrochene Teile zusammenfügen.
»Die Grube bei der Ziegelhütte, gleich hinter dem Gerberviertel! Dort, wo die ganzen Lehmziegel herstammen! Dann ... dann ist dort vielleicht das Versteck der Kinder?«
Jakob Kuisl blies ihm den Pfeifenrauch mitten ins Gesicht, so dass Simon husten musste. Aber wenigstens vertrieb der Rauch den Leichengeruch.
»Schlauer Quacksalber«, sagte er und klopfte dem hustenden Simon auf die Schulter. »Und genau da werden wir jetzt hingehen und den Gören einen Besuch abstatten.«
In aller Eile schaufelte der Henker das Grab wieder zu. Dann packte er Spaten und Laterne und rannte zur Mauer des Friedhofs. Gerade wollte er seinen schweren Körper an den Steinen hochziehen, als oben eine Gestalt erschien. Sie streckte ihm die Zunge raus.
»Ha, erwischt beim Leichenfleddern! Siehst aus wie der leibhaftige Boandlkramer, nur ein bisschen fetter ...« »Magdalena, verdammt, ich ... «
Jakob Kuisl griff nach dem Bein seiner Tochter, um sie zu sich herunter zu ziehen, aber mit einer schnellen Bewegung sprang sie zur Seite und stolzierte die Mauer entlang. Spöttisch blickte sie auf die beiden Grabräuber hinunter.
»Hab ich mir’s doch gedacht, dass ihr auf den Friedhof wollt. Mir macht ihr nichts vor! Und, Vater? Hast unter den Nägeln der Buben den gleichen Dreck gefunden wie beim Johannes?«
Der Henker sah zornig zu Simon hinüber.
»Hast du ihr etwa ...? «
Der Medicus hob beschwichtigend die Hände. »Nichts hab ich! Ich hab ihr nur vom Johannes erzählt ... und dass Ihr Euch die Fingernägel genauer angesehen habt.«
»Trottel! Man darf den Weibern nichts erzählen, schon gar nicht meiner Tochter! Die macht sich auf alles einen Reim.«
Jakob Kuisl versuchte Magdalena erneut am Bein zu fassen, aber schon wieder war sie einige Schritte weiter auf der Mauer Richtung Kirche balanciert. Der Henker eilte ihr nach.
»Komm da runter, sofort! Du weckst die ganze Nachbarschaft, und dann ist hier der Teufel los! «, flüsterte er heiser.
Magdalena sah ihren Vater von oben grinsend an. »Ich komm runter, aber nur wenn ihr mir verratet, was ihr bis jetzt rausgefunden habt. Ich bin nicht dumm, das weißt du, Vater. Ich kann euch helfen.«
»Jetzt komm erst mal runter«, brummte Jakob Kuisl. »Versprochen?«
»Ja, verdammt.«
»Schwörst du’s
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