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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Medicus wollte etwas entgegnen, doch in diesem Moment war von oben Krachen und ein Schrei zu hören.
    »Magdalena!«, rief Simon und hangelte sich ins Innere, wo er schmerzhaft auf dem Steinboden landete. Sofort stand er wieder auf, nahm die Fackel in die Hand und lief Richtung Treppe. Der Henker folgte ihm. Sie durchquerten den Raum mit dem Brennofen und eilten die Stufen nach oben zum Dachboden. Es roch nach Rauch und Asche.
    Oben angelangt war die Luft erfüllt mit rotem Staub, so dass sie trotz der Fackeln kaum etwas sehen konnten. Aus der rechten Ecke drang ein leises Stöhnen. Langsam legte sich der Staub, Simon erkannte zerbrochene Ziegel, die überall in Haufen verstreut auf dem Boden lagen. An der Wand waren weitere Ziegel bis zur Decke gestapelt. An einer Stelle klaffte eine Lücke. Gut zwei Zentner gebrannter Ton mussten hier zu Boden gestürzt sein. Unter einem besonders großen Haufen regte sich etwas.
    » Magdalena! «, rief Simon. »Ist alles in Ordnung?«
    Magdalena erhob sich, ein rotes Gespenst, über und über mit feinem Ziegelstaub bedeckt.
    »Ich glaube ... es geht schon«, hustete sie. »Ich wollte die Ziegel wegschieben. Ich dachte, ein Versteck wäre dahinter ... « Wieder musste sie husten. Auch Simon und der Henker waren jetzt mit dem feinen, roten Staub eingefärbt.
    Jakob Kuisl schüttelte den Kopf. »Irgendetwas stimmt nicht«, brummte er. »Irgendetwas hab ich übersehen. Die rote Erde ... sie war unter den Fingernägeln! Aber die Kinder sind nicht hier. Wo dann?«
    »Wo werden die Ziegel denn hingebracht«, fragte Magdalena, die sich inzwischen notdürftig abgeklopft hatte und auf einem größeren Scherbenhaufen saß. »Vielleicht sind die Kinder dort?«
    Wieder schüttelte der Henker den Kopf. »Das war kein Ziegelstaub unter ihren Nägeln. Das war Tonerde, feuchter Ton. Sie müssen darin gegraben haben ... Wo gibt es noch so viel Ton?«
    Plötzlich durchfuhr es Simon heiß.
    »Die Baustelle!«, rief er. »Auf der Baustelle!«
    Der Henker fuhr aus seinen Gedanken aufgeschreckt hoch. »Was sagst du?«
    »Die Baustelle vom Siechenhaus! «, wiederholte Simon. »Dort lagen große Haufen von Tonerde. Sie verputzen damit das Mauerwerk!«
    »Der Simon hat recht!«, rief Magdalena und sprang vom Scherbenhaufen auf. »Ich hab selbst gesehen, wie die Arbeiter mit dem Karren Tonerde dorthin geschafft haben. Das Siechenhaus ist zurzeit die einzige große Baustelle in Schongau!«
    Der Henker trat mit dem Fuß gegen einen Ziegel, so dass er an der Wand in kleine Stücke zerschellte.
    »Kruzitürken, ihr habt recht! Wie konnt ich nur so blöd sein und die Baustelle vergessen? Wir waren ja selber da und haben den Lehm gesehen!«
    Er eilte die Stufen nach unten. »Schnell zum Siechenhaus!«, rief er schon im Laufen. »Helf Gott, dass es nicht schon zu spät ist!«
     
    Von der Ziegelbrennerei bis zur Hohenfurcher Steige war es gut und gern eine halbe Stunde Fußmarsch. Der kürzeste Weg ging durch den Wald. Jakob Kuisl wählte einen schmalen Pfad, der eher einem Wildwechsel glich. Nur gelegentlich schien der Mond durch das Tannendickicht, ansonsten herrschte eine fast undurchdringliche Schwärze. Es war Simon ein Rätsel, wie der Henker vor ihm den Weg fand. Gemeinsam mit Magdalena stolperte er dessen Fackel hinterher. Immer wieder schlugen ihnen Tannenzweige ins Gesicht, ab und zu glaubte Simon ein Knacksen direkt neben sich im Dickicht zu hören. Aber sein eigener Atem war zu laut, als dass er hätte sagen können, ob es Einbildung oder tatsächlich Schritte waren. Schon nach kurzer Zeit fing er an zu keuchen. Genau wie vor ein paar Tagen, als er vor dem Teufel auf der Flucht gewesen war, merkte er auch jetzt, dass ihm die Übung für solche Waldläufe fehlte. Er war ein Medicus, verdammt noch mal, kein Jäger oder Soldat! Magdalena neben ihm lief leichtfüßig dahin. Um ihretwillen versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.
    Plötzlich war der Wald zu Ende, sie standen draußen auf einem Stoppelfeld. Der Henker schien sich kurz zu orientieren, dann lief er links am Rand des Feldes weiter. »Nach Osten, und bei den Eichen scharf rechts!«, rief er. »Wir sind gleich da. «
    Tatsächlich durchquerten sie schon bald einen Eichenhain, um schließlich am Rande einer größeren Rodung zu stehen. Schemenhaft waren die Umrisse von Gebäuden zu erkennen. Sie hatten die Baustelle erreicht.
    Simon hielt keuchend inne. An seinem Mantel hingen Zweige, Disteln und Tannennadeln. Sein Hut war ihm irgendwo im

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