Die Henkerstochter
zum Lech gegangen. Stille breitete sich in der Stube aus.
»Ich verwette meinen Hintern, dass die Clara und die Sophie noch auf dieser Baustelle sind«, brummte der Henker schließlich und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Irgendwo dort muss es ein Versteck geben, und zwar ein gutes. Sonst hätten wir oder die anderen es schon längst gefunden.«
Simon zuckte zusammen. Er hatte sich an seinem heißen Becher verbrannt.
» Gut möglich, doch das können wir leider nicht mehr nachprüfen«, sagte er schließlich und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Tagsüber sind die Handwerker vor Ort, und nachts sind mittlerweile Wachen postiert, die der Lechner dorthin abkommandiert hat. Wenn die irgendetwas von den Kinder spitzkriegen, dann stecken sie es dem Lechner ... «
»Und die Sophie landet mit der Martha zusammen auf dem Scheiterhaufen«, ergänzte der Henker. »Kruzifix, es ist wie verhext!«
»Sagt so was nicht.« Simon grinste, aber dann wurde er wieder ernst.
»Lasst uns noch einmal zusammenfassen«, sagte er. »Die Kinder haben sich vermutlich irgendwo auf der Baustelle versteckt. Außerdem ist dort noch etwas anderes vergraben. Etwas, das ein reicher Mann gerne haben möchte. Dafür hat er ein paar Söldner bezahlt. Die Resl vom Semer-Wirt hat erzählt, dass diese Söldner sich mit irgendwem letzte Woche oben im ersten Stock des Wirtshauses getroffen haben.«
»Vermutlich der Auftraggeber.«
Der Henker entzündete seine Pfeife an einem Kienspan. Wie ein Zelt wölbte sich der Tabakrauch über die zwei Männer und vermischte sich mit dem Kaffeeduft. Simon musste kurz husten, bevor er weitersprach.
»Die Söldner sabotieren die Baustelle des Siechenhauses, damit sie dort länger suchen können. Das leuchtet mir ein. Aber warum, in Gottes Namen, schlachtet einer von ihnen die Waisenkinder ab? Das macht doch keinen Sinn!«
Der Henker sog nachdenklich an seiner Pfeife. Seine Augen waren auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Endlich sprach er.
»Sie müssen etwas gesehen haben. Etwas, das auf keinen Fall ans Licht kommen darf ...«
Simon schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Dabei verschüttete er den Rest des Kaffees, der sich nun als braune Lache über den Tisch ausbreitete. Doch das war ihm jetzt egal.
»Den Auftraggeber!«, rief er. »Sie haben den Auftraggeber der Sabotageakte gesehen!«
Jakob Kuisl nickte.
»Das würde auch erklären, warum der Stadl brannte. An die meisten der Augenzeugen kam der Teufel leicht heran. Den Peter hat er draußen am Fluss erwischt. Anton und Johannes waren als missliebige Mündel leichte Beute. Nur Clara Schreevogl war als Patrizierkind gut beschützt. Der Teufel muss irgendwie herausgefunden haben, dass sie krank zu Hause lag ... «
»Und dann haben seine Kumpane den Stadl angezündet, um Familie und Bedienstete wegzulocken, während er sich das Kind holt«, stöhnte Simon. »Für Schreevogl ging es um viel. Auch er hatte Waren unten im Stadl eingelagert. Es war klar, dass er hinunter zum Fluss eilen würde.«
Der Henker entzündete seine Pfeife erneut. »Nur Clara lag krank zu Hause im Bett. Aber sie ist ihm entwischt. Und die Sophie auch ...«
Simon sprang auf. »Wir müssen die Kinder auf der Stelle finden, bevor sie der Teufel findet. Die Baustelle ... «
Jakob Kuisl zog ihn wieder auf seinen Stuhl zurück.
»Ruhig, ruhig. Nichts überstürzen. Es gilt nicht nur die Kinder zu retten, sondern auch die Martha. Und Tatsache ist, dass sich an den toten Kindern Hexenzeichen befanden. Und dass die Kinder vorher alle zusammen bei der Hebamme waren. Vielleicht schon morgen kommt der kurfürstliche Pflegverwalter, und bis dahin will der Lechner sein Geständnis. Ich kann ihn sogar verstehen. Denn wenn hier erst der Verwalter seine Nase reinsteckt, dann wird es nicht bei einer Hex bleiben. Das war schon beim letzten großen Hexenprozess in Schongau so. Zum Schluss haben sie über sechzig Frauen hier in der Gegend verbrannt.«
Der Henker sah Simon tief in die Augen.
»Wir müssen erst herausfinden, was es mit diesen Zeichen auf sich hat. Und zwar schon sehr bald.«
Simon stöhnte. »Die verdammten Zeichen. Rätsel über Rätsel.«
Es klopfte an der Türe.
»Wer da?«, knurrte der Henker.
»Ich bin’s, der Cost Benedict«, drang eine ängstliche Stimme durch die Tür. »Der Lechner schickt mich, um dich zu holen. Du sollst dich um die Hex kümmern. Die macht keinen Mucks mehr, und sie soll doch heut noch aussagen. Und jetzt sollst du sie
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