Die Henkerstochter
fliehen, ohne dass ihn der Teufel vorher in Stücke hieb. Blieb nur zu hoffen, dass Simon den Kampf rechtzeitig bemerkte und ihm zu Hilfe kam. Bis dahin musste er Zeit schinden.
»Komm schon, oder traust dich nur gegen Kinder und Weiber?«, rief Jakob Kuisl so laut, dass er davon ausgehen konnte, dass ihn Simon hören musste. Noch einmal linste er Richtung Ausgang.
Der Teufel verzog mitleidig die Lippen.
»Oh, hoffst du auf Hilfe?«, fragte er. »Glaub mir, diese Gänge sind so verzweigt und tief, dass dein Schreien nur bis zur nächsten Wand kommt. Ich kenne diese Höhlen. Im Krieg hab ich einige von ihnen ausgeräuchert. Wenn die Bauern halb erstickt rausgetaumelt sind, konnte ich ihnen in aller Ruhe den Garaus machen. Und was den Medicus betrifft ... «
Er deutete auf den hüfthohen, schmalen Ausgang.
»Der kann gerne kommen. Sobald er seinen Kopf da raussteckt, hau ich ihn ab wie bei einer Henne.«
»Ich schwör dir, Teufel, wenn du dem Simon oder meiner Magdalena auch nur ein Haar gekrümmt hast, dann brech ich dir jeden Knochen«, flüsterte der Henker.
»Oh, das kannst du natürlich. Das ist schließlich dein Beruf, nicht wahr?«, sagte der Söldner. »Aber keine Sorge, deine Tochter heb ich mir für später auf. Obwohl ... Ich weiß natürlich nicht, was meine Freunde gerade mit ihranstellen. Sie haben schon lange keine Frau mehr gehabt, weißt du? Das macht sie ein wenig ... zügellos.«
Durch Jakob Kuisls Kopf huschten rote Schwaden. Wut stieg in ihm auf. Große Wut.
Ich muss mich zusammenreißen. Er will, dass ich die Kontrolle verliere.
Er atmete ein paar Mal tief durch. Die Wut fiel zurück in sein Innerstes, aber sie war noch nicht ganz erloschen. Vorsichtig tastete sich der Henker ein paar Schritte nach hinten. Er versuchte mit seinem Körper den Ausgang abzuschirmen, während er weiterredete. Wenn Simon aus dem Tunnel kroch, müsste der Teufel auf diese Weise zunächst an ihm vorbei. Und dann? Ein dürrer Studiosus und ein alter Mann mit Knüppel gegen einen geübten, bewaffneten Söldner ... Er brauchte Zeit! Zeit zum Nachdenken!
»Ich ... ich kenn dich«, sagte er. »Wir haben uns schon einmal gesehen, damals in Magdeburg.«
In den Augen des Teufels glomm ein kurzes Zögern. Sein Gesicht schien sich zu verzerren, so wie heute früh in Jakob Kuisls Garten.
»In Magdeburg? Was hast du in Magdeburg zu schaffen gehabt?«, fragte er schließlich.
Der Henker ließ den Knüppel kreisen.
»Ich war Söldner ... genau wie du«, sagte er. Seine Stimme wurde heiser. »Ich werde den Tag nie vergessen. Am 20. Mai 1631 fielen wir mit Tilly in die Stadt ein. Der Alte hatte noch am frühen Morgen alle Magdeburger für vogelfrei erklärt ... «
Der Teufel nickte.
»Das stimmt. Du warst also tatsächlich mit dabei. Nun, dann haben wir ja tatsächlich etwas gemeinsam. Wie schön. Nur leider kann ich mich partout nicht an dich erinnern.«
Dann zuckte ein Erkennen über sein Gesicht.
»Du bist ... der Mann auf der Straße! Das Haus an der Stadtmauer ... Jetzt fällt’s mir wieder ein! «
Der Henker schloss für einen winzigen Moment die Augen. Die Erinnerung kehrte zurück. Was vorher im Garten vor seinem Haus noch Schemen und Fetzen waren, nahm jetzt Gestalt an. Die Bilder prasselten wie Hagelkörner auf ihn ein.
Kanonenfeuer Eine Bresche in der Mauer. Schreiende Frauen und Kinder, die die Straße entlanglaufen. Einige stolpern, die Söldner sind bald über ihnen und hauen mit ihren Säbeln alles in Stücke. Das Blut rinnt in breiten Bahnen die Gasse hinab, sodass die Menschen quiekend darauf ausrutschen. Links ein Patrizierhaus, aus dem Weinen und schrille Schreie dringen. Das Dach und der erste Stock stehen bereits in Flammen. In der geöffneten Tür steht ein Mann und hält einen Säugling kopfunter wie ein Schlachtlämmchen an den Beinen fest. Der Säugling schreit so laut, dass sein Greinen das Kanonenfeuer, das Lachen der Soldaten, das Prasseln des Feuers übertönt. Am Boden liegt ein Mann in seinem Blut. Eine Bürgersfrau rutscht auf Knien vor dem Söldner und zieht an seinem Wams.
»Dein Geld, wo ist dein verdammtes Geld, ketzerische Sauhur, red!«
Die Frau kann nur weinen und den Kopf schütteln. Der Säugling schreit und schreit. Da hebt der Mann das sich windende Kind und schlägt es gegen den Türstock. Einmal, zweimal, dreimal. Das Schreien hört auf. Ein Hieb mit dem Säbel, und die Frau fällt zur Seite. Der Söldner blickt hinüber auf die andere Seite der Gasse. In seinen Augen
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