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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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des Henkers, gesammelt im Laufe vieler Generationen. Uraltes Wissen, das sich so ganz von dem unterschied, was man Simon an der Ingolstädter Universität in staubtrockenen Vorlesungen vorgesetzt hatte.
    Simon griff nach einem besonders dicken Wälzer, den er schon öfter in der Hand gehabt hatte. Mit dem Finger fuhr er über den Titel . »Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis «, murmelte er. Ein umstrittenes Buch, das von der Idee ausging, alles Blut im Körper sei Teil eines ewigen Kreislaufs, der vom Herzen angetrieben würde. Eine Theorie, über die sich Simons Ingolstädter Professoren gerne lustig gemacht hatten und die auch sein Vater für abwegig erklärte.
    Simon stöberte weiter. Buch der Medicie hieß ein handgeschriebenes, nur schlecht gebundenes Büchlein, in dem allerlei Anwendungen gegen Krankheiten aufgelistet waren. Simons Blick blieb auf einer Seite hängen, auf der getrocknete Kröten gegen die Pest empfohlen wurden. Gleich daneben im Regal stand ein Werk, das der Henker erst jüngst erworben hatte. Das Wundarzneyische Zeughaus des Ulmer Stadtphysicus Johannes Scultetus war so neu, dass es vermutlich noch nicht einmal die Ingolstädter Universität besaß. Ehrfurchtsvoll fuhr Simon mit seinen Fingern über den Einband dieses Meisterwerks der Chirurgie.
    »Schade, dass du nur Augen für Bücher hast.«
    Simon blickte auf. Am Türstock lehnte Magdalena und sah ihn aufmunternd an. Unwillkürlich musste der jungeMedicus schlucken. Mit ihren zwanzig Jahren wusste Magdalena Kuisl, wie sie auf Männer wirkte. Immer wenn Simon sie sah, wurde sein Mund plötzlich trocken und sein Kopf schien leer zu sein. In den letzten Wochen war es schlimmer geworden, er musste immer wieder an sie denken. Manchmal vor dem Einschlafen hatte er sich ihre vollen Lippen vorgestellt, die Grübchen in ihren Wangen und die lachenden Augen. Wenn der Medicus auch nur ein bisschen abergläubisch gewesen wäre, hätte er vermutet, dass ihn die Henkerstochter verzaubert hatte.
    »Ich ... warte auf deinen Vater ...«, stammelte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Lächelnd kam sie auf ihn zu. Den toten Jungen auf der Bank schien sie im schnellen Vorübergehen nicht bemerkt zu haben. Simon dachte nicht daran, ihr davon zu erzählen. Die wenigen Momente, die sie gemeinsam hatten, waren zu kostbar, um sie mit Tod und Leid zu füllen.
    Er zuckte mit den Schultern und stellte das Buch zurück ins Regal.
    »Dein Vater hat einfach die beste medizinische Bibliothek im Umkreis. Dumm wäre ich, wenn ich das nicht nutzen würde«, murmelte er. Sein Blick glitt über ihr weißes Dekolleté, in dem sich zwei wohlgeformte Brüste abzeichneten. Schnell sah er in eine andere Richtung.
    »Das sieht dein Vater aber anders«, sagte Magdalena und kam langsam näher.
    Simon wusste, dass sein Vater die Bücher des Henkers für Teufelszeug hielt. Und auch vor Magdalena hatte er ihn des Öfteren gewarnt. Ein Satansweib, hatte er gesagt. Wer sich mit der Henkerstochter einlässt, wird niemals ein angesehener Mediziner.
    Simon wusste, dass eine Heirat mit Magdalena ausgeschlossen war. Sie war »unehrlich«, genauso wie ihrVater. Trotzdem ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Erst vor einigen Wochen hatten sie auf dem Paulusmarkt kurz miteinander getanzt. Ein Vorfall, der tagelang Stadtgespräch gewesen war. Sein Vater hatte ihm Schläge angedroht, sollte er sich noch einmal mit Magdalena erwischen lassen. Henkerstöchter heirateten Henkerssöhne, das war ein ungeschriebenes Gesetz. Das wusste auch Simon.
    Magdalena stand jetzt vor ihm und fuhr ihm mit den Fingern über die Wange. Sie lächelte, aber in ihren Augen lag eine unausgesprochene Trauer.
    »Magst du mit mir morgen in die Auen gehen?«, fragte sie. »Der Vater braucht Misteln und Christrosen ... «
    Simon glaubte so etwas wie ein leises Flehen zu hören.
    »Magdalena, ich ... « Ein Rascheln ertönte hinter ihm.
    »Du wirst hübsch alleine gehen. Der Simon und ich haben eine ganze Menge zu besprechen. Jetzt scher dich.«
    Simon blickte sich um. Der Scharfrichter war in die enge Kammer getreten, ohne dass er auch nur das Geringste bemerkt hatte. Magdalena warf dem jungen Medicus einen letzten Blick zu, dann lief sie hinaus in den Garten.
    Jakob Kuisl sah Simon streng und durchdringend an. Einen Moment lang schien es, als wollte er ihn rauswerfen. Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und lächelte.
    »Freut mich, dass du meine Tochter magst«, sagte er. »Lass bloß deinen Vater nichts davon

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