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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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wissen.«
    Simon nickte. Schon oft hatte er mit seinem Vater wegen der Besuche im Scharfrichterhaus gestritten. Bonifaz Fronwieser hielt den Henker für einen Quacksalber. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass nicht nur sein Sohn, sondern halb Schongau bei kleinen und großen Wehwehchen zum Henker pilgerte. Nur einen gewissen Teil seines Unterhalts verdiente Jakob Kuisl mit dem Hängen und Foltern. Das weitaus größere Geschäft war die Heilkunde.Er verkaufte Tränke gegen Gicht und Durchfall, reichte Tabak gegen Zahnschmerzen, schiente gebrochene Beine und renkte ausgekugelte Schultern wieder ein. Sein Wissen war legendär, auch wenn er nie an einer Universität studiert hatte. Simon war klar, dass sein Vater den Scharfrichter hassen musste . Schließlich war dieser für ihn der härteste Konkurrent. Und eigentlich auch der bessere Arzt …
    Währenddessen war Jakob Kuisl wieder in die Wohnstube hinübergegangen. Simon folgte ihm. Sofort war der Raum in gewaltige Rauchschwaden gehüllt. Der Henker hatte nur ein einziges Laster, aber das pflegte er besonders gründlich.
    Mit der Pfeife im Mund ging er zielstrebig zur Bank, hob den toten Jungen auf den Tisch und schlug Decke und Tuch zurück. Leise pfiff er durch die Zähne.
    »Wo hast du den gefunden?«, fragte er. Gleichzeitig füllte er eine Tonschüssel mit Wasser und begann Gesicht und Brust des Toten zu waschen. Kurz blickte er auf die Fingernägel des Jungen. Rote Erde hatte sich unter ihnen angesammelt, als hätte der kleine Peter irgendwo mit bloßen Händen gegraben.
    »Unten an der Floßlände«, sagte Simon. Er berichtete, was passiert war, bis zu der Stelle, als alle nach oben in die Stadt rannten, um die Hebamme zur Rechenschaft zu ziehen. Der Henker nickte.
    »Die Martha lebt«, sagte er und tupfte weiter das Gesicht des Jungen ab. »Ich hab sie selbst zur Feste gebracht. Da ist sie erst mal sicher. Alles Weitere muss man schauen.«
    Wie so oft war Simon beeindruckt von der Ruhe des Scharfrichters. Wie alle Kuisls sprach er nur wenig. Doch was er sagte, hatte Gewicht.
    Der Henker war jetzt mit der Leichenwäsche fertig. Gemeinsamblickten sie auf den zerstörten Körper des Jungen. Die Nase war gebrochen, das Gesicht grün und blau geschlagen. Um die Brust herum zählten sie sieben Einstiche.
    Jakob Kuisl zog ein Messer aus seinem Mantel und schob die Klinge probeweise in einen der Einstiche. Links und rechts war noch gut ein Fingerbreit Platz.
    »Das muss was Größeres gewesen sein«, murmelte er. »Ein Schwert?«, fragte Simon.
    Kuisl zuckte mit den Schultern. »Eher ein Säbel oder eine Hellebarde. «
    »Wer macht so was? « Simon schüttelte den Kopf.
    Der Henker drehte den Körper um. Auf der Schulter prangte das Zeichen, vom Transport noch ein wenig verwaschener als zuvor, aber immer noch gut sichtbar. Ein violetter Kreis mit einem Kreuz am unteren Ende.
     
     
     
    »Was ist das?«, fragte Simon.
    Jakob Kuisl beugte sich tief über den Körper des Jungen. Dann leckte er an seinem Zeigefinger, rieb leicht über das Zeichen und steckte den Finger in den Mund. Er schmatzte genießerisch.
    »Hollersaft«, sagte er. »Und kein schlechter.« Er hielt Simon den Finger hin.
    »Was? Aber ich dachte, es wäre ...«
    »Blut?« Der Henker zuckte mit den Schultern. »Blut hätte sich schon längst abgewaschen. Nur Hollersaft behält so lange seine Farbe. Brauchst nur meine Frau zu fragen. Die flucht gewaltig, wenn die Kleinen sich damit zuschmieren. Allerdings ...« Er begann an dem Mal zu rubbeln.
    »Was ist?«
    »Die Farbe ist zum Teil unter der Haut. Jemand muss sie mit einer Nadel oder einem Dolch hineingestochen haben.«
    Simon nickte. Ähnliche Kunstwerke hatte er bei Söldnern aus Kastilien und Frankreich gesehen. Sie hatten sich Kreuze oder die Mutter Gottes in die Oberarme tätowiert.
    »Aber was bedeutet das Zeichen?«
    »Eine gute Frage.« Kuisl nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, stieß den Rauch aus und schwieg lange. Erst dann antwortete er.
    »Es ist das Venusmal. «
    »Das was? « Simon blickte auf das Zeichen hinunter. Plötzlich konnte er sich erinnern, wo er dieses Zeichen schon mal gesehen hatte. In einem Buch über Astrologie.
    »Das Venusmal. « Der Henker ging hinüber in die kleine Stube und kam mit einem fleckigen, in Leder gebundenen Folianten zurück. Er blätterte ein wenig, bis er die richtige Seite gefunden hatte.
    »Da.« Er zeigte Simon die Stelle. Auch hier war das Zeichen zu sehen. Daneben befand sich ein Kreis mit

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