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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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einem Pfeil, der rechts nach oben zeigte.
    »Venus. Göttin der Liebe, des Frühlings und des Wachstums«, las Jakob Kuisl laut vor. »Kontrapunkt zum Zeichen des Mars, des Kriegsgottes.«
    »Aber was hat dieses Zeichen auf dem Körper des Jungen zu bedeuten?«, fragte Simon verwirrt.
    »Dieses Zeichen ist alt, uralt«, sagte der Henker und nahm einen neuen Zug von der langstieligen Pfeife. »Und was bedeutet es? «
    »Es hat viele Bedeutungen. Es steht für die Frau als Gegenpart zum Mann, für das Leben, aber auch für das Weiterleben nach dem Tod. «
    Simon hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.Und das lag nur zum Teil an den Rauchschwaden, die ihn einhüllten.
    »Aber ... das wäre ja Ketzerei«, flüsterte er.
    Der Henker zog seine buschigen Augenbrauen hoch und sah ihm in die Augen.
    »Das genau ist das Problem«, sagte er. »Das Venusmal ist ein Zeichen der Hexen.«
    Dann blies er Simon den Tabaksrauch direkt ins Gesicht.
     
    Der Mond leuchtete fahl über Schongau. Immer wieder schoben sich Wolken vor ihn und tauchten Fluss und Stadt in Düsternis. Unten am Lech stand eine Gestalt und blickte gedankenversunken auf die rauschenden Fluten. Der Mann schlug den Kragen seines pelzgefütterten Mantels hoch und drehte sich um zu den Lichtern der Stadt. Die Tore waren längst geschlossen, aber für Menschen wie ihn fand sich immer ein Schlupfloch. Man musste nur die richtigen Leute kennen und über das nötige Kleingeld verfügen. Und beides war für den Mann kein Problem.
    Trotzdem begann er zu frösteln. Das lag nur zum Teil an der Kälte, die jetzt im April noch von den Bergen herüberwehte. Über die Kopfhaut des Mannes kroch Angst. Er blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um, aber außer dem schwarzen Band des Flusses und einigen Gebüschen am Ufer war nichts zu sehen.
    Erst viel zu spät hörte er das Rascheln hinter sich. Das Nächste, was er spürte, war die Spitze eines Schwertes, die sich in seinem Rücken durch Pelzmantel, Samtrock und Wams bohrte.
    »Bist du allein?«
    Die Stimme war direkt an seinem rechten Ohr. Er roch Branntwein und fauliges Fleisch.
    Der Mann nickte, doch das schien der Gestalt hinter ihm nicht auszureichen.
    »Bist du allein, verdammt?«
    »Ja doch!«
    Der Schmerz in seinem Rücken ließ nach, die Schwertspitze wurde zurückgezogen.
    »Dreh dich um!«, zischte die Gestalt.
    Der Mann wandte sich um wie befohlen und nickte seinem Gegenüber ängstlich zu. Gehüllt in einen schwarzen Wollmantel, den Schlapphut mit der Feder tief ins Gesicht gezogen, sah der Fremde aus, als wäre er direkt aus der Unterwelt emporgestiegen.
    »Warum hast du mich hergerufen?«, fragte er und schob das Schwert gemächlich zurück in die Scheide.
    Der Mann vor ihm schluckte. Dann hatte er sein sonst so unerschütterliches Selbstvertrauen wiedergefunden. Er straffte sich, bevor er wütend zu einer Strafpredigt ansetzte: »Warum ich dich hergerufen habe ...? Ihr habt versagt, das weißt du ganz genau!«
    Der Fremde zuckte mit den Schultern.
    »Der Junge ist tot«, sagte er. »Was willst du mehr?«
    Der Mann aus der Stadt gab sich damit nicht zufrieden. Zornig schüttelte er den Kopf, sein dürrer rechter Zeigefinger fuhr auf und nieder. »Und die anderen?«, zischte er. »Es waren fünf! Drei Jungen und zwei Mädchen. Was ist mit den anderen?«
    Der Fremde machte eine abfällige Handbewegung. »Die kriegen wir auch noch«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
    Der andere eilte ihm hinterher.
    »Verdammt! So sollte das nicht enden!«, rief er und fasste den Fremden hart an der Schulter. Eine Tat, die er im nächsten Moment bereute. Wie ein Schraubstock legtesich eine sehnige Hand um seine Kehle. Im Gesicht des Fremden waren plötzlich weiße Zähne zu sehen, er lächelte. Ein Wolfslächeln.
    »Hast du etwa Angst?«, fragte er leise.
    Der Mann schluckte und merkte, wie ihm das Atmen schwerfiel. Kurz bevor ihm schwarz vor Augen wurde, ließ ihn der Fremde wieder los und schleuderte ihn von sich weg wie ein lästiges Tier.
    »Du hast Angst«, wiederholte er. »Ihr seid doch alle gleich, ihr fetten Pfeffersäcke.«
    Der Mann keuchte und entfernte sich ein paar Schritte. Nachdem er seine Kleidung geordnet hatte, fühlte er sich wieder in der Lage zu sprechen.
    »Bringt die Sache einfach schnell zu Ende«, flüsterte er. »Die Kinder dürfen nicht reden.«
    Wieder ließ sein Gegenüber die Zähne aufblitzen. »Das wird dich aber noch was kosten.«
    Der Mann aus Schongau zuckte mit den Schultern. »Ist mir

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