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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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gleich. Lasst es einfach vorbei sein.«
    Einen Moment lang schien der Fremde nachzudenken, schließlich nickte er. »Gib mir die Namen«, sagte er leise. »Du kennst sie, also was ist mit den Namen?«
    Der Mann schluckte. Er hatte die Kinder nur kurz gesehen. Trotzdem glaubte er zu wissen, wer sie waren. Kurz überkam ihn das Gefühl, an einer Schwelle zu stehen. Noch konnte er zurück …
    Die Namen entschlüpften seinem Mund, bevor er weiter nachdenken konnte.
    Der Fremde nickte. Dann wandte er sich abrupt ab. Sekunden später war er mit der Dunkelheit verschmolzen.

3
    Mittwoch,
    den 25. April Anno Domini 1659,
    7 Uhr morgens
     
    J akob Kuisl schlang seinen Mantel eng um sich und eilte die Münzgasse entlang, darauf achtend, nicht in die Haufen von Unrat und Exkrementen zu treten, die vor den Hauseingängen lagen. So früh am Morgen lag noch Nebel in den Straßen, die Luft war feucht und kalt. Direkt über ihm öffnete sich ein Fenster, und jemand kippte den Inhalt seines Nachttopfs auf die Straße. Kuisl duckte sich fluchend zur Seite, als der Schwall Urin direkt neben ihm zu Boden ging.
    Als Scharfrichter war Jakob Kuisl in Schongau auch für die Beseitigung von Mist zuständig. Eine Arbeit, die er wochenweise verrichtete. Schon bald würde er wieder mit Handkarren und Schaufel durch die Gassen ziehen. Doch heute hatte er dafür keine Zeit. Kurz nach dem Sechs-Uhr-Läuten war der Stadtknecht bei ihm erschienen und hatte ihm mitgeteilt, dass Johann Lechner ihn sofort zu sehen wünsche. Kuisl konnte sich denken, was der Gerichtsschreiber von ihm wollte. Der Mord an dem Jungen war gestern den ganzen Tag Stadtgespräch gewesen. Gerüchte von Hexerei und teuflischen Riten verbreiteten sich in einer Kleinstadt wie Schongau schneller als der Geruch von Unrat. Lechner galt als ein Mann, der nicht zögerte, auch wenn es um heikle Entscheidungen ging. Außerdemwar heute Ratsversammlung, und die hohen Herren wollten sicher wissen, was es mit den Gerüchten auf sich hatte.
    Der Henker hatte einen schweren Kopf. Gestern Abend war Josef Grimmer noch bei ihm gewesen, um die Leiche seines Sohnes abzuholen. Der Mann hatte fast gar nichts mehr gemein gehabt mit jenem Josef Grimmer, der ein paar Stunden zuvor fast die Hebamme erschlagen hätte. Er heulte wie ein kleines Kind und war nur durch Kuisls selbstgemachten Kräuterbranntwein einigermaßen zu beruhigen. Der Scharfrichter hatte selbst das eine oder andere Glas mitgetrunken …
    Jakob Kuisl bog links in eine Seitengasse und ging auf die herzogliche Residenz zu. Trotz seines Kopfwehs musste er schmunzeln, denn die Bezeichnung »Residenz« hielt nicht ganz, was sie versprach. Das Gebäude vor ihm glich eher einer bulligen, heruntergekommenen Festung. Nicht mal die ältesten Schongauer konnten sich erinnern, wann hier das letzte Mal ein Herzog abgestiegen war. Selbst der kurfürstliche Pfleger, der sich als Stellvertreter des Kurfürsten in der Stadt um die Belange Seiner Hoheit kümmerte, erschien hier nur alle Jubeljahre und wohnte sonst in seinem fernen Gut bei Thierhaupten. Die übrige Zeit diente der verfallene Bau als Kaserne für zwei Dutzend Soldaten und als Amtsstube des Gerichtsschreibers. Dieser führte in Abwesenheit des Pflegers die Geschäfte von Kurfürst Ferdinand Maria in Schongau.
    Johann Lechner war ein mächtiger Mann. Eigentlich nur für die Belange Seiner Majestät zuständig, hatte er sich im Lauf der Jahre eine Stellung erarbeitet, die es ihm ermöglichte, auch in städtischen Dingen Einfluss zu nehmen. An Johann Lechner ging in Schongau kein Dokument, kein Erlass, keine noch so kleine Notiz vorbei.Jakob Kuisl war sich sicher, dass der Schreiber auch jetzt schon seit Stunden über städtischen Akten brütete.
    Der Scharfrichter durchschritt das steinerne Portal, an dem zwei rostige Türflügel schief in ihren Angeln hingen, und betrat den Vorhof. Die wachhabenden Soldaten nickten ihm müde zu und ließen ihn passieren. Jakob Kuisl sah sich in dem engen, schmutzigen Hof um. Seit der letzten großen Plünderung durch die Schweden vor über zehn Jahren war die Residenz immer mehr heruntergekommen. Der rechte Wehrturm ragte nur noch als rußige Ruine empor , die Dächer der Stallungen und Dreschtennen waren moosig und leck. Kaputte Kutschen und allerlei Gerümpel lugten zwischen den zerborstenen Bretterwänden hervor.
    Kuisl stieg die ausgetretenen Stufen zum Schloss empor, durchquerte einen dunklen Gang und blieb vor einer niedrigen Holztür stehen. Gerade

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