Die Henkerstochter
tauchte plötzlich hinter der Weide auf und griff nach ihr. Ohne weiter nachzudenken, ließ sich Magdalena den Abgrund hinunterfallen. Sie rollte über Felsen und Lehmbrocken, griff nach herausragenden Wurzeln und überschlug sich ein paar Mal. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie schließlich wieder sehen konnte, lag sie bäuchlings in einem Haselnussstrauch, der nur wenige Meter über dem Flussbett ihren Sturz gedämpft hatte. Direkt unter ihr breitete sich ein Streifen kiesigen Ufers aus.
Schmerzverkrümmt blieb sie einen Moment liegen. Dann wendete sie vorsichtig den Kopf und blickte nach oben. Weit über sich konnte sie die Männer erkennen. Sie schienen eine Stelle zu suchen, an der sie zum Fluss gelangen konnten. Einer der Söldner fing bereits an, ein Seil an einen Baumstamm zu binden, der über den Abgrund hinausragte.
Magdalena befreite sich aus dem Haselnussstrauch und hangelte sich die letzten Meter zum Ufer hinunter.
Der Lech strömte hier an der Biegung mit bedrohlicher Geschwindigkeit. Weiße Strudel hatten sich in der Mitte gebildet; an den Rändern schäumte das Wasser und spülte über kleinere Bäume am Ufersaum hinweg. Selbst jetzt Ende April war das Hochwasser noch so stark, dass vereinzelte Birken in den Auen bis zum Wipfel überschwemmtwaren. Ein gutes Dutzend gefällter Baumstämme hatte sich ineinander verkeilt und trudelte zwischen den Birken hin und her. Wütend drückte der Lech gegen das Hindernis; immer wieder verschoben sich einige der Stämme. Nicht mehr lange, dann würden die Wassermassen sie wieder mit sich fortreißen.
Zwischen den Stämmen schaukelte ein Boot.
Magdalena konnte ihr Glück kaum fassen. Der morsche Kahn musste sich weiter oben losgerissen haben. Jetzt hing er hilflos zwischen den Baumstämmen und drehte sich auf der Stelle, gefangen zwischen den Strudeln. Als die Henkerstocher genauer hinsah, konnte sie sogar zwei Ruder erkennen, die im Rumpf lagen.
Sie sah sich um. Einer der Söldner hangelte sich bereits an dem Seil zum Ufer hinunter. Nicht mehr lange, und er würde sie erreicht haben. Der andere suchte vermutlich noch einen anderen Weg den Hang hinunter. Magdalena blickte auf die Stämme vor ihr, dann sprach sie ein kurzes Stoßgebet, zog ihre Schuhe aus und sprang auf den ersten Baumstamm.
Das Holz unter ihr wackelte und schaukelte, doch sie behielt das Gleichgewicht. Magdalena tänzelte den Stamm entlang und sprang auf den nächsten Baumriesen. Bedrohlich rollte er um seine eigene Achse, während er nach rechts abdriftete. Das Henkersmädchen war geschickt genug, das Rollen mit tänzelnden Bewegungen auszugleichen. Als sie sich kurz umblickte, sah sie, dass der eine Söldner, der sich abgeseilt hatte, jetzt zögernd am Ufer stehen blieb. Als er den Kahn entdeckte, tastete auch er sich vorsichtig den Baumstamm entlang.
Der Blick zurück hätte Magdalena beinahe das Gleichgewicht gekostet. Sie rutschte auf dem glitschigen Holz aus und konnte sich gerade noch abfangen, bevor sie indie Fluten glitt. Jetzt stand sie mit dem linken Bein auf einem Stamm, mit dem rechten Bein auf dem danebenliegenden. Unter ihr schäumte und gurgelte weißes Wasser. Sie wusste: Wenn sie hier hineinfallen würde, würden die Baumriesen sie zermahlen wie zwei Mühlsteine ein Korn.
Vorsichtig setzte sie ihren Weg fort. Der Söldner hinter ihr hatte mittlerweile eine gute Strecke auf den Stämmen zurückgelegt. Magdalena sah in sein angestrengtes, konzentriertes Gesicht. Sie erkannte, dass es sich um Hans handelte, der Söldner, der sie als Erstes hatte vergewaltigen wollen. Kein Zweifel, der Mann hatte Angst, Todesangst sogar. Doch zum Umkehren war es jetzt für ihn zu spät.
Leichtfüßig sprang sie auf den nächsten Baumstamm, der bis zum Boot reichte. Als sie den Kahn schon fast erreicht hatte, hörte sie hinter sich einen Schrei. Sie blickte sich um und sah die Gestalt des Söldners wie einen Gaukler auf einem Seil tanzen. Einen Augenblick lang schien er in der Luft zu verharren. Dann stürzte er seitwärts in die Fluten. Stämme schoben sich knirschend über die Stelle, wo er versunken war. Kurz glaubte Magdalena noch einen Kopf zwischen den Stämmen auftauchen zu sehen. Dann war vom Söldner Hans nichts mehr übrig.
Oben am Steilufer stand der zweite Soldat und blickte unschlüssig auf die tosenden Wasser tief unter ihm. Schließlich machte er kehrt und verschwand zwischen den Bäumen.
Magdalena tat einen letzten Sprung und griff nach dem Bootsrand. Sie bekam ihn zu
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