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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Tageslicht durch schmale Ritzen zu ihnen hinunter. Eine Steinplatte lag dort oben, unerreichbar für sie. Selbst wenn Simon Sophie auf die Schultern genommen hätte, hätte das Mädchen nicht herangereicht. Geschweige denn, dass sie die schwere Platte hätte heben können.
    Sie waren gefangen.
    Simon ließ die bewusstlose Clara sanft zu Boden gleiten und setzte sich neben sie. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag hatte er das Bedürfnis zu heulen, oder wenigstens laut aufzuschreien.
    »Sophie, ich glaube, wir kommen hier nicht mehr raus ... «
    Sophie kuschelte sich neben ihn und legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Ihre Hände krallten sich in seine Beine. Sie zitterte.
    Plötzlich fiel Simon wieder das Zeichen ein. Er zog an Sophies Kleid, so dass die Schulter entblößt war.
    Auf dem rechten Schulterblatt prangte das Hexenmal. Lange Zeit schwieg er.
    »Ihr habt euch das Zeichen selbst aufgemalt, nicht wahr?«, fragte er schließlich. »Haematit, ein simples Pulver ...Ihr müsst das Symbol irgendwo bei der Stechlin gesehen haben, und dann habt ihr es euch mit Hollersaft eingeritzt. Es war alles nur ein Spiel ...«
    Sophie nickte. Ihren Kopf drückte sie weiter in Simons Schoß.
    »Mit Hollersaft! «, fuhr Simon fort. »Wie konnten wir nur so blöd sein! Welcher Satan malt seine Zeichen mit Kindersaft? Aber warum, Sophie? Warum?«
    Sophies Körper schüttelte sich. Sie weinte in Simons Schoß hinein. Schließlich sprach sie, ohne den Kopf zu heben.
    »Sie haben uns geschlagen, getreten, gebissen ... Wo sie uns sahen, haben sie uns bespuckt und verhöhnt!« »Wer?«, fragte Simon irritiert.
    »Die anderen Kinder! Weil wir Waisen sind, weil wir keine Familien haben! Deshalb kann man auf uns herumtreten!«
    »Aber warum dann das Zeichen?«
    Zum ersten Mal blickte Sophie hoch.
    »Wir haben es bei der Martha auf dem Regal gesehen. Auf einem Tiegel. Es sah irgendwie ... nach Zauberei aus. Wir haben uns gedacht, wenn wir dieses Zeichen tragen,dann ist das wie ein Schutzzauber. Keiner kann uns mehr was antun.«
    »Ein Schutzzauber«, murmelte Simon. »Ein dummer Kinderstreich, mehr nicht ...«
    »Die Martha hat uns von solchen Schutzzaubern erzählt«, fuhr Sophie fort. »Dass es Zeichen gibt, die den Tod abwehren oder Krankheiten oder Unwetter, hat sie erzählt. Aber sie hat uns keine genannt. Sie hat gesagt, dann würden die anderen sagen, sie sei eine Hexe ... «
    »Oh, Gott ...«, flüsterte Simon. »Und genau das ist eingetreten.«
    »Also sind wir hinunter in unser Versteck, bei Vollmond. Damit der Zauber besser wirkt. Wir haben uns das Zeichen gegenseitig eingeritzt und uns geschworen, dass wir ewig zusammenhalten. Dass wir uns immer helfen und die anderen bespucken und verachten.«
    »Und dann habt ihr die Männer gehört ...«
    Sophie nickte.
    »Der Zauber hat nicht gewirkt. Die Männer haben uns entdeckt, und wir haben uns nicht gegenseitig geholfen. Wir sind geflohen, und sie haben den Peter erschlagen wie einen Hund ... «
    Sie fing wieder an zu weinen. Simon streichelte sie, bis sie sich beruhigte und das Weinen in ein gelegentliches Schluchzen überging.
    An ihrer Seite röchelte Clara im Schlaf. Simon fühlte ihre Stirn. Sie war immer noch heiß. Der Medicus war sich nicht sicher, ob Clara hier unten die nächsten Stunden überleben würde. Das Mädchen brauchte ein warmes Bett, kalte Umschläge und einen fiebersenkenden Tee aus Lindenblüten. Außerdem musste die Wunde am Bein versorgt werden.
    Erst vorsichtig, dann immer lauter rief Simon um Hilfe.Als auch nach mehrmaligem Rufen keiner antwortete, gab er auf und setzte sich wieder auf den steinigen, nassen Boden. Wo waren die Wachen? Lagen sie immer noch gefesselt und geknebelt am Boden? Oder hatten sie sich schon befreien können? Vielleicht waren sie ja schon unterwegs in die Stadt, um vom Überfall zu berichten. Was aber, wenn der Teufel sie umgebracht hatte? Heute war der erste Mai. Oben in der Stadt wurde getanzt und gelacht. Gut möglich, dass erst morgen oder vielleicht sogar übermorgen wieder jemand hier vorbeischauen würde. Bis dahin war Clara längst am Fieber gestorben.
    Um die düsteren Gedanken zu vertreiben, fragte der Medicus Sophie nach weiteren Einzelheiten. Laufend fielen ihm dabei Details ein, die er oder der Henker herausgefunden hatten, und die jetzt plötzlich einen Sinn ergaben.
    »Der Schwefel, den wir beim Peter in der Tasche gefunden hatten, gehörte der auch zu eurem Hokuspokus?« Sophie nickte.
    »Wir haben ihn aus einem Tiegel

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