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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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fassen und zog sich ins Innere. Der Rumpf war nass und zwei Handbreit mit Wasser gefüllt, aber das Boot schien Gott sei Dank nicht leck zu sein. Sie brach zitternd zusammen und begann leise zu weinen.
    Als die Morgensonne sie ein wenig aufgewärmt hatte,richtete sie sich auf, griff nach den Rudern und paddelte am Ufer entlang flussabwärts Richtung Kinsau.
     
    Als der Gang hinter ihnen einbrach, warf sich Simon auf die kleine Clara und schützte sie so mit seinem Körper. Dann betete er. Er hörte ein Knirschen und Brechen. Steine fielen links und rechts von ihm zu Boden. Ein paar Lehmklumpen landeten auf seinem Rücken, ein letztes Rieseln. Endlich herrschte Stille.
    Merkwürdigerweise war die Kerze nicht ausgegangen. Simon hielt sie immer noch krampfhaft in der rechten Faust. Er kniete sich vorsichtig hin und beleuchtete den Gang. Nur langsam legte sich die Wolke aus Staub und Rauch und gab den Blick frei auf die wenigen Meter, die im Licht der Kerze zu überblicken waren.
    Hinter ihm lag Sophie zusammengekauert am Boden. Erde und kleinere Lehmbrocken lagen auf ihr, eine Schicht Staub hatte sich wie braunes Mehl über sie gelegt, doch darunter bemerkte Simon ein leichtes Zittern. Sie schien zu leben. Direkt hinter dem Mädchen waren nur noch Steine und Dunkelheit. Simon nickte grimmig. Der Weg zurück war endgültig abgeschnitten. Doch wenigstens drang auch kein Rauch mehr zu ihnen durch.
    »Sophie? Bei Gott, ist dir was geschehen?«, flüsterte er in ihre Richtung.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf und richtete sich auf. Ihr Gesicht war leichenblass, ansonsten schien sie in Ordnung zu sein.
    »Der Gang ... Er ist ... eingestürzt«, murmelte sie.
    Der Medicus blickte vorsichtig nach oben. Die Decke direkt über ihnen machte einen stabilen Eindruck. Keine Stützbalken, aber glatter, fester Lehm. Die runde, nach oben hin leicht zulaufende Form gab dem Tunnel zusätzlicheStabilität. Simon hatte dergleichen schon einmal in einem Buch über Bergbau gesehen. Die Menschen, die diese Gänge gebaut hatten, waren Meister ihres Fachs gewesen. Wie lange hatte es wohl gedauert, bis sie dieses Labyrinth geschaffen hatten? Jahre? Jahrzehnte? Der Einsturz gerade eben war vermutlich auf die Feuchtigkeit zurückzuführen, die den festen Lehm hatte brüchig werden lassen. Von irgendwoher musste Wasser eingedrungen sein. Ansonsten waren die Tunnel in einem hervorragenden Zustand.
    Immer noch musste Simon über die Konstruktion staunen. Warum hatten die Menschen nur so viel Mühe darauf verwendet, ein Labyrinth zu schaffen, das offensichtlich keinem Zweck diente? Dass es als unterirdische Fluchtburg unnütz war, hatte das Feuer gerade eben eindrucksvoll bewiesen. Wer in den oberen Kammern einen Brand legte, konnte sich sicher sein, dass die Menschen wie Ratten aus den verrauchten Gängen an die Oberfläche strömten. Oder darin jämmerlich erstickten.
    Es sei denn, der Tunnel führte irgendwo ins Freie …
    Simon zog Sophie an den Händen.
    »Wir müssen weiter. Bevor der Gang ganz einstürzt. Irgendwo hier muss es hinausgehen.«
    Sophie sah ihn mit schreckensweiten Augen an. Sie schien erstarrt zu sein. Gefangen im Schock.
    »Sophie, hörst du mich?«
    Keine Regung.
    »Sophie!«
    Er gab ihr eine schallende Ohrfeige. Das Mädchen kam zu sich.
    »Was ... was ...?«
    »Wir müssen hier raus. Reiß dich zusammen. Du gehst voran und hältst die Kerze. Pass auf, dass sie nicht ausgeht.«Er sah sie eindringlich an, bevor er weitersprach. »Ich nehm die Clara und bleibe dicht hinter dir. Verstehst du mich?«
    Sophie nickte. Dann machten sie sich auf den Weg.
    Der Gang vollzog eine Krümmung, bevor er wieder geradeaus ging. Zuerst unmerklich, dann immer stärker stieg er an. Zunächst kamen sie nur kniend voran, doch mit der Zeit wurde der Gang breiter und höher. Schließlich konnten sie gebückt laufen. Simon trug Clara auf dem Rücken, ihre Arme baumelten links und rechts von seinen Schultern. Sie war so leicht, dass er sie kaum spürte.
    Plötzlich spürte Simon einen Luftzug von vorne. Tief atmete er ein. Es roch nach frischer Luft, nach Wald, Harz und Frühling. Noch nie war ihm Luft als so etwas Kostbares erschienen.
    Nur kurze Zeit später endete der Tunnel in einer Sackgasse.
    Simon konnte es nicht glauben. Er nahm Sophie die Kerze aus der Hand und sah sich panisch um. Kein Gang. Nicht einmal ein Loch.
    Erst nach längerer Suche entdeckte er einen engen Schacht, der nach oben führte.
    In ungefähr fünf Schritt Höhe sickerte

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