Die Henkerstochter
bei der Martha. Wir dachten, wenn die Hexen Schwefel zum Zaubern nehmen, dann kann’s für uns auch nicht schaden. Der Peter hat sich die Taschen damit vollgestopft. Meinte, er würde so schön stinken ... «
»Ihr habt die Alraune bei der Hebamme gestohlen, nicht wahr?«, fuhr Simon fort. »Weil ihr sie für eure Zauberspielchen gebraucht habt.«
»Ich hab sie bei der Martha gefunden«, gab Sophie zu. »Sie hat mir mal von der Wunderkraft der Alraune erzählt, und da hab ich geglaubt, wenn ich sie drei Tage in Milch einlege, würde ein Männlein draus werden und uns beschützen ... Es hat aber nur gestunken. Von den Resten hab ich der Clara hier unten einen Trank gebraut.«
Der Medicus sah zu dem ohnmächtigen Mädchen hinüber. Es grenzte an ein Wunder, dass es eine solche Rosskur überlebt hatte. Aber vielleicht hatte die Alraune auch etwas Gutes bewirkt. Schließlich schlief Clara jetzt schon seit Tagen durch, und der Körper hatte so genug Zeit gehabt, sich zu kurieren.
Er wandte sich wieder Sophie zu.
»Deshalb seid ihr auch nicht zum Gerichtsschreiber oder einem anderen Ratsherren gegangen, um ihm zu berichten, was ihr gesehen habt«, stellte er fest. »Weil ihr Angst hattet, man würde euch wegen des Zeichens der Hexerei verdächtigen.«
Sophie nickte.
»Als das mit dem Peter passiert war, haben wir noch gewollt«, sagte sie. »Bei Gott, ich schwör’s, wir wollten gleich nach dem Zehnuhrläuten zum Lechner und ihm alles beichten. Aber dann habt ihr den Peter unten am Lech gefunden und das Hexenzeichen. Und dann war da große Aufregung, und alle haben von Hexerei geredet ...«
Sie sah Simon verzweifelt an.
»Wir haben gedacht, dass uns keiner mehr glaubt. Dass sie uns für Hexen halten und uns mit der Martha zusammen verbrennen! Wir hatten solche Angst!«
Simon strich ihr über das schmutzige Haar.
»Es ist gut, Sophie. Es ist gut ...«
Er blickte auf die kleine Talgkerze, die neben ihm vor sich hinflackerte. In spätestens einer halben Stunde würde sie hinuntergebrannt sein. Dann käme das Licht nur noch als feiner Strahl durch die Ritzen der Steinplatte. Er überlegte, ob er Clara mit einem Stück seines Rocks einen kalten Umschlag um den geschwollenen Knöchel machen sollte, kam aber wieder davon ab. Das Wasser hier unten, das sich in kleinen Pfützen gesammelt hatte, war einfachzu dreckig. Vermutlich würde der Umschlag das Mädchen noch kränker machen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ärzten seiner Zunft war Simon davon überzeugt, dass Schmutz zu Infektionen führte. Er hatte zu viele Soldaten in dreckigen Verbänden verrecken sehen.
Etwas ließ ihn plötzlich innehalten und aufhorchen. Irgendwo weit weg waren Stimmen zu hören. Sie kamen von oben. Simon sprang auf. Auf der Baustelle mussten Menschen sein! Auch Sophie hatte aufgehört zu weinen. Gemeinsam versuchten sie auszumachen, wem die Stimmen gehörten. Doch sie waren zu leise.
Kurz wog Simon die Risiken ab. Gut möglich, dass dort über ihnen die Söldner waren, oder vielleicht sogar der Teufel selbst ... Vielleicht hatte der Wahnsinnige den Henker getötet und war nun über den Brunnen wieder ans Tageslicht gekrochen. Andererseits war Clara hier unten verloren, wenn sie keiner herausholte. Nach kurzem Zögern formte er die Hände zum Trichter und schrie heiser in den Schacht.
»Hilfe! Hier sind wir! Hier unten! Hört uns jemand?«
Die Stimmen oben verstummten. Waren die Männer weitergegangen? Simon brüllte weiter. Auch Sophie half ihm jetzt.
»Hilfe! Hört uns denn keiner?«, schrien sie gemeinsam.
Dumpfes Poltern und Schritte waren plötzlich zu hören. Mehrere Menschen redeten direkt über ihnen. Dann schob sich die Steinplatte knirschend zur Seite, und ein breiter Streifen Licht fiel auf die Gesichter der Eingeschlossenen. Oben tauchte ein Kopf in der Öffnung auf. Simon musste blinzeln. Das Sonnenlicht machte ihn nach so langer Zeit in der Dunkelheit fast blind. Schließlich erkannte er das Gesicht.
Es war der Patrizier Jakob Schreevogl.
Als der Ratsherr seine Tochter unten erkannte, fing er zu rufen an. Seine Stimme klang brüchig.
»Mein Gott, Clara! Du lebst! Gelobt sei die Jungfrau Maria!«
Er wandte sich nach hinten.
»Schnell, bringt ein Seil! Wir müssen sie rausholen!«
Nur kurze Zeit später baumelte ein Seil in den Schacht und wurde schnell herabgelassen. Simon band daraus eine Schlinge, legte sie Clara um den Bauch und gab das Zeichen zum Hochziehen. Danach kam Sophie an die Reihe. Er selbst trat als
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